
Pharmakokinetik in Stunden statt in Wochen
Mit einem neuen KI-Modell gelingt es Potsdamer Informatikern, anhand weniger Patientendaten die Pharmakokinetik neuer Arzneimittel zu modellieren und schneller als bisher vorherzusagen.
Das im August von einer Gruppe um Niklas Hartung als Preprint vorgestellte Modell AICMET verkürzt die bislang wochenlange pharmakokinetische (PK) Modellierung auf wenige Stunden. Gleichzeitig liefert es so präzise Vorhersagen schon auf Basis weniger Messpunkte, dass individualisierte Dosierungen in greifbare Nähe rücken.
Ein Kernproblem der personalisierten Pharmakotherapie ist die Vorhersage von Dosis-Wirkungs-Zusammenhängen, wenn pro Patient nur wenige Plasmakonzentrationsmessungen vorliegen. Bisherige Ansätze wie nichtlineare Misch-Effekt-Modelle (NLME) erfordern manuell definierte Modelle für jede Substanz und sind daher rechen- und zeitintensiv. Neuere KI-Methoden wie „neural ODEs“ funktionieren zwar bei dichten Datensätzen, scheitern jedoch an der typischen klinischen Realität mit wenigen Messpunkten.
AICMET geht hier neue Wege: Fachsprachlich ausgedrückt kombiniert es mechanistische Kompartimentmodelle mit bayesscher Inferenz innerhalb eines Transformer-Frameworks. Übersetzt bedeutet das: Das Modell verbindet das klassische Wissen über die Verteilung von Medikamenten im Körper (Kompartimentmodelle: Differentialgleichungen, die Aufnahme, Verteilung und Eliminierung eines Wirkstoffs beschreiben) mit moderner Statistik, die Wahrscheinlichkeiten und Unsicherheiten berücksichtigt (Bayessche Inferenz: Modelle, die sowohl gemeinsame Eigenschaften einer Patientengruppe als auch individuelle Abweichungen erfassen und damit biologische Variabilität abbilden). Dieses Wissen wird in einer neuartigen KI-Architektur umgesetzt – einem Transformermodell, das ursprünglich aus der Sprach-KI stammt und hier für pharmakokinetische Daten angepasst wurde.
Vortrainiert wurde AICMET mit Hunderttausenden simulierten PK-Profilen. Dadurch kennt das Modell die allgemeinen Gesetzmäßigkeiten der Pharmakokinetik und kann neue Wirkstoffe sofort prognostizieren („Zero-Shot-Vorhersage“) – ohne aufwendiges Neutrainieren. Für die Vorhersage bei neuen Patienten genügen wenige frühe Plasmakonzentrationsmessungen; die Informationen bereits untersuchter Probanden fließen automatisch in die Schätzung ein. So lassen sich individuelle Konzentrations-Zeit-Kurven ableiten, inklusive einer realistischen Quantifizierung der interindividuellen Variabilität.
Die Resultate sind bemerkenswert: In Tests mit öffentlich verfügbaren Datensätzen übertraf das Modell sowohl etablierte NLME-Modelle als auch neuere neuronale ODE-Ansätze. AICMET ermöglicht eine differenzierte Modellierung der interindividuellen Unterschiede und eröffnet einen neuen Weg für schnelle, populationsbewusste und gleichzeitig personalisierte Dosierungskonzepte – mit großem Potential für die frühe klinische Arzneimittelentwicklung.