Deutsche Biotechnologie mit Licht und Schatten

Laut aktuellem Biotech-Report der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY zum Jahr 2021 waren die Investitionen in die deutsche Biotech-Branche rekordhoch: mit 2,4 Mrd. Euro wurde die zweithöchste Summe seit Bestehen der Branche in Deutschland investiert. Der noch höhere Wert von 3 Mrd. Euro war im Jahr 2020 zur Hälfte den beiden Unternehmen Biontech und Curevac zuzurechnen. Diese hätten im vergangenen Jahr nur noch knapp unter 20% zum Gesamtfinanzierungsvolumen beigetragen.

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Die Sonne im Rücken, wirft nach vorne den Schatten – das ist die Erkenntnis der Branchenbetrachtungen zur deutschen Biotechnologie, egal wer die Umfrage erstellt hat. Das vergangene Jahr strahlt dabei noch im gewaltigen „Corona-Bonus“, maßgeblich von Biontech, aber auch von vielen anderen Zulieferern, Diagnostikunternehmen und weiteren Pandemierettern/-gewinnern geprägt. Der Schatten, der sich auf den US-Börsenplätzen seit Q3 bis heute stetig vergrößert, könnte jedoch bald über den Großen Teich hinweg die positive Stimmung hierzulande verdunkeln. Die Kategorien der Betrachtung von Erfolg und Misserfolg der deutschen biopharmazeutischen Biotechnologie (auf die unterschiedlichen statistischen Verfahren und Definitionen zur Erhebung bei EY und der mitwirkenden BIO Deutschland im Vergleich zu den OECD-konformen Branchendaten der BIOCOM AG wurde an dieser Stelle bereits häufig hingewiesen) folgen dabei der bisherigen Tradition, den Puls der Branche anhand der Erfolge der externen Finanzierung zu messen.

Dabei fällt der Lichtkegel besonders schnell auf die börsennotierten Unternehmen, die besser reüssierten als im ersten Pandemiejahr. Alle vier Börsengänge des vergangenen Jahres fanden an der US-Börse Nasdaq statt. Neben dem kleinen Medizindiagnostik-Spezialisten Mainz Biomed, der sich mal eben wegen des Erfolges in der Nachbarschaft griffig umbenannte, hatte Atai Life Science mit Gründer und Investor Christian Angermayer über einen IPO gut 220 Mio. Euro eingesammelt. Eine Zweitnotierung an der Nasdaq gelang Biofrontera und Evotec. Letztere konnte dabei mit 413 Mio. Euro den größten europäischen Börsengang eines Biotech-Unternehmens für sich verbuchen. Die Börsenkurse haben sich seit Mitte vergangenen Jahres jedoch hauptsächlich nach unten bewegt, und wenn auch in den USA insgesamt rund 15 Mrd. Euro über Biotech-IPOs eingeworben werden konnten (der Anteil der deutschen Biotech-Unternehmen hieran sind wenige Prozentpunkte), tragen nahezu sämtliche Charts dieser Unternehmen ein deutliches rotes Minus vor sich her.

Nach einem Rekordjahr an Börsengängen ist auf dem US-Kapitalmarkt gerade eine deutliche Ernüchterung eingetreten. Das Investitionsklima hat sich dort auch nach EY-Einschätzung deutlich verschlechtert, IPOs sind schwieriger geworden und werden immer wieder verschoben. Bleibt die im Gespräch mit EY und weiteren Branchenexperten unbeantwortete Frage, ob dieser US-Abschwung nicht auch schon die deutsche Biotechnologie treffe oder zumindest in absehbarer Zeit treffen müsste? Der sich selbst als Berufsoptimisten bezeichnende Oliver Schacht, Vorstandsvorsitzender der BIO Deutschland, meinte dazu, dass er und die in Börsendingen erfahrenen Amerikaner schon so viel erlebt hätten, dass diese Situation des Auf und Abs nichts Neues sei und im Augenblick kein Ausverkauf oder gar Panik herrsche, sondern allen bewusst sei, dass aus den Biotechnologieinnovationen echte Werte und Wertschöpfung entstünden, wie es BioNTech gezeigt habe.

Im weiteren Report wird dem Thema Kooperation und Kampf um Talente viel Platz gegeben. EY-Partner und Life-Science-Experte Alexander Nuyken sieht insbesondere beim Nachwuchs auf Managementebene großen Nachholbedarf und wünscht sich ein besseres Mentoring und Erfahrungsweitergabe. Zudem stellte EY fest, dass die „Firepower“ von BigPharma hoch ist, viel Geld neue Anlagemöglichkeiten im Bereich Kooperation oder auch gleich bei M&A suche. Ebenso hätten die VC-Gesellschaften hohe Volumen eingeworben und noch großen Investitionsdruck. Als Beispiele, dass auch deutsche Biotech-Unternehmen hierbei mitmischen oder Beachtung finden, werden unter anderen Morphosys, Pieris, Immatics und Evotec aufgeführt. Gerade Morphosys hat jedoch mit der Übernahme der US-amerikanischen Firma Constellation Pharma – der bisher größten Akquisition durch eine deutsche Biotech-Firma – die Börse noch nicht überzeugen können. Dies ist eher ein Beispiel für den Scheinwerfer-Kegel im vergangenen Jahr und einen dunklen Schatten, der seither den Börsenkurs in den Keller trieb. Wie es also nach den Corona-Bonusjahren in Deutschlands medizinischer Biotechnologie weitergeht, bleibt mit großen Fragezeichen versehen.

Ob BioNTech ganz alleine weiterhin der Leuchtturm ist und bleibt oder andere bald nachrücken, kann (und will) der Report nicht restlos klären, dazu braucht es wohl eher eine Glaskugel.

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