Digitale Gesundheit und Europa
Der Deutsche Bundestag hat das „Gesetz zur Beschleunigung der Digitalisierung des Gesundheitswesens“ (Digital-Gesetz – DigiG) sowie das „Gesetz zur verbesserten Nutzung von Gesundheitsdaten“ (Gesundheitsdatennutzungsgesetz – GDNG) in 2. und 3. Lesung zur Verbesserung der Patientenversorgung beschlossen. Damit soll Forschung und Innovation datenbasiert möglich werden. Ein Symposium in München widmete sich der Verzahnung mit dem Europäischen Datenraum (EHDS).
Viel besser kann man ein Symposium thematisch nicht plazieren, wenn am Vortag der Deutsche Bundestag nach jahrelanger Vorarbeit das „Gesetz zur Beschleunigung der Digitalisierung des Gesundheitswesens“ (Digital-Gesetz – DigiG) sowie das „Gesetz zur Verbesserung der Nutzung von Gesundheitsdaten“ (Gesundheitsdaten-Nutzungsgesetz – GDNG) in 2. und 3. Lesung verabschiedet. Dies gelang der Bayerischen Akademie der Wissenschaften mit der Konferenz zur „Datennutzung im europäischen Gesundheitsdatenraum – Chancen und Risiken für Forschung und Innovation“.
Dabei ging es nicht so sehr um die bayerische Perspektive auf das Thema, auch wenn sich Bayern – oft zusammen mit Baden-Württemberg – besonders intensiv bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens und der Patientenversorgung mit Bundesratsinitiativen und diversen landeseigenen Pilotprojekten (DigiMed, DigiOnco, DigiDem …) engagiert hat. Nahezu allen Rednern der Veranstaltung war die Erleichterung anzumerken, dass Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach die bereits von seinem Vorgänger Jens Spahn angestoßene Gesetzesreform beibehalten und mit dem Bundestagsbeschluss nun einen wichtigen Meilenstein erreicht hat. Einig waren sich fast alle Referenten und auch die Veranstaltungsteilnehmer in den Kaffeepausen, dass der Teufel jetzt noch im Detail stecken könnte, wie eine Vielzahl von Änderungsanträgen zum Gesetzestext zeigt. Während die deutsche Feinformulierung noch ihre Tücken haben mag, wies der langjährige (ehemalige) Rechtsexperte für Digital Health an der Universität Augsburg, Ulrich Gassner, darauf hin, dass auch beim europäischen Gesetzesvorhaben, dem European Health Data Space (EHDS), nach einer ersten Ankündigung sehr massiv „nachgebessert“ werde. Die erste Lesung habe ein Dokument mit Änderungen ergeben, die sich auf insgesamt 274 Seiten summieren.
Einige Redner wiesen auf die unklare Bedeutung neuer Begriffe im deutschen Gesetzestext hin – was bedeutet eigentlich „Gemeinwohl“? –, aber auch darauf, dass der Text allein noch keine Reform des Gesundheitswesens bringen werde. In dieses Horn stieß auch Birgit Bauer, Kommunikatorin für Patientenorganisationen (DataSavesLives), die eine ausgeprägte Informationskampagne forderte. Diese Forderung hatte am selben Tag die neue bayerische Gesundheitsministerin Judith Gerlach an die Berliner Politik gerichtet. „Der Patient muss über den Mehrwert der Digitalisierung aufgeklärt werden. Nur dann ist eine sinnvolle Abwägung zwischen Datennutzung und Datenschutz möglich“, so Bauer. Denn auch das war allen Teilnehmern des Symposiums klar: Die Kommunikation rund um die Regelung zur Freigabe von Gesundheitsdaten wird maßgeblich über Erfolg oder Misserfolg entscheiden. Die Rede ist hier von der Opt-out-Regelung, die besagt, dass ein Bürger grundsätzlich in die Nutzung seiner Daten einwilligt, es sei denn, es erfolgt eine aktive Ablehnung durch ihn in Form eines Eintrags auf der Gesundheitskarte oder in der elektronischen Patientenakte. Im Gegensatz zu einem aktiven Opt-in-Verfahren, bei dem der Bürger von sich aus aktiv in die Datennutzung einwilligt, erhoffen sich die Befürworter dieses Verfahrens eine höhere Quote an „stillschweigender Einwilligung“, während die Einholung einer aktiven Einwilligung wesentlich aufwendiger und unsicherer sei.
An diesem Punkt scheiden sich die Geister, weil laut Patientenvertreterin Bauer überhaupt nicht nachvollziehbar sei, zu welcher Datennutzung mit welchen Folgen man derzeit eigentlich zustimmen solle. Das sei in einem noch laufenden Gesetzgebungsverfahren mit unterschiedlichsten, eher juristisch ausgeklügelten Formulierungen einfach nicht das Niveau eines normalen Bürgers. Sie befürchtet sogar, dass ohne ausreichende Information die Ablehnung noch viel größer sein könnte, einfach weil das Verfahren nicht transparent genug ist und man nicht weiß, was auf einen zukommt.
Nick Schneider, der auf der Arbeitsebene des Bundesgesundheitsministeriums intensiv an der Erarbeitung der beiden oben genannten Gesetzestexte beteiligt war, bemühte sich um Klarheit. „Die Digitalisierung von Gesundheitsdaten steht nicht im Widerspruch zum Datenschutz, sondern ist sogar eine Folge der DSGVO. Dort wird eine transparente Zugänglichkeit von Daten gefordert, die es bisher im Gesundheitswesen nicht gegeben hat“, so Schneider auf der Tagung. Gesundheitsdaten würden heute in vielen Formaten an unterschiedlichsten Stellen erhoben und gespeichert, aber nicht miteinander verknüpft und seien daher oft wertlos. Die neue Rechtslage ermögliche nun erst übergreifende Informationsmöglichkeiten über Gesundheitsdaten aus verschiedenen Sektoren und schaffe damit deren tatsächliche Zugänglichkeit.
Prof. Dr. Dirk Heckmann, Lehrstuhl für Recht und Sicherheit der Digitalisierung an der TU München und Bayerischer Verfassungsrichter, machte schließlich darauf aufmerksam, dass das hohe Gut der Gesundheit und ihr Schutz in der WHO-Charta und in den Verfassungen verbrieft sei, dieser Gesundheitsschutz aber heute nur noch durch eine Datennutzung auf hohem Niveau gewährleistet werden könne. Es gäbe also quasi eine verfassungsrechtliche Grundrichtung, die Datennutzung vor einen zu eng definierten Datenschutz zu stellen. Er plädierte (scherzhaft) für eine „Folgenabschätzung der Nichtnutzung von Daten“.
Der Blick auf Europa und die europäischen Länder in ihrer Datennutzung führte auf der Tagung nach Finnland und Dänemark. Die Vertreter beider Länder verwiesen auf die Vorteile ihrer digitalisierten Gesundheitswelt, räumten aber auch ein, dass es viele Jahre gedauert habe, bis die Gesetze formuliert und die Systeme implementiert waren. Und sie stellten klar: Dafür braucht es viel Personal. Eine Bemerkung, die den deutschen Gesetzgebungsprozess in ein schräges Licht rückt, denn Lauterbach hat bisher für die Digital-Health-Umsetzung mit vielen zentralen Daten- und Informationszentralen mit nur geringem Personalaufwand argumentiert.