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China-Beziehungen geraten ins Kreuzfeuer

Man kann kaum mehr die Augen davor verschließen, dass ein hauptsächlich von den Vereinigten Staaten losgetretener Wirtschaftskrieg mit China auch immer stärker auf den Pharma- und Biotech-Bereich ausstrahlt. Auch auf Deutschland?

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Die Corona-Pandemie wirkte wie eine Pausetaste für einen bereits davor beginnenden, immer öffentlicher ausgetragenen Streit zwischen den großen Wirtschaftsmächten über die Expansion der häufig staatlichen chinesischen Unternehmen. Der Hauptkritikpunkt dabei war und ist, dass sich China andererseits versteht abzuschotten gegen einen Marktzugang ausländischer Unternehmen. Menschenrechte, Überwachung, Uiguren, Taiwan und einige andere Themen in der immer aufgeheizteren Auseinandersetzung klingen dabei durch ihre beständige Wiederholung oft nur wie allgefällige Satzbausteine, die man nicht vergessen sollte zu erwähnen.

Ganz praktisch geht es um die Marktzugänge –  von China in die westliche Welt, von großen und kleinen Firmen der westlichen Welt auf den milliardengroßen Käufermarkt in Festlandchina. Noch ein paar Jahre vor der Pandemie war es eine ganz normale Übung der deutschen Clusterorganisationen aus dem Life-Sciences-Sektor, Unterstützungsangebote für einen besseren Zugang nach China anzupreisen. Auch mit Hilfe der großen deutschen Außenhandels- und Wirtschaftsorganisationen, GTAI, den AHKs, einigen Technologietransfereinrichtungen und diversen Landesregierungen und ihren Ministerien und „Go-international“-Organisationen waren Delegationsreisen und Messebeteiligungen als Brückenbauer gedacht, das Reich der Mitte zu erobern. Branchenkenner vor Ort mit chinesischer Herkunft oder auch Europäer mit jahrzehntelanger China-Erfahrung sollten als Türöffner in die dortigen Verfahrenswege und staatlichen Apparate dienen. Die oben erwähnten Stichworte für einen moralisch sauberen Umgang mit China standen damals auch schon in vielen Reiseunterlagen, ließen bei der Vertragsunterschrift jedoch kaum jemanden zurückzucken.

Corona schloss all diese Brücken und Türen für mehrere Jahre. Seit dem vergangenen Jahr ist China wieder „da“, und vielleicht sogar ein bisschen stärker als zuvor, denn der Expansionsdrang ist ungebremst, durch eine schwächere innerchinesische Wirtschaftsleistung und hohe Jugendarbeitslosigkeit sogar noch stärker staatlich angetrieben und unterstützt als zuvor. Doch China könnte mit den hohen staatlichen Subventionen nun überdreht haben. Bei nahezu jeder öffentlichen Ausschreibung unterschreiten chinesische Mitbewerber nicht nur das günstigste Angebot. Branchenkenner sprechen sogar davon, dass mit dem vorgeschlagenen Angebotspreis „nicht einmal die Materialkosten zu decken sind“. Damit wird offensichtlich, was eine neue Staatsorder sein könnte: Aufträge um jeden Preis an Land ziehen, fehlenden Kostenausgleich zu den Materialkosten übernimmt der Staat.

Spätestens da reagierten die USA deutlich: In Anhörungen der Regierung wurden immer mehr chinesische Firmen des Biotech- und Pharmasektors als „feindlich“ bezeichnet. Es gehört nun schon fast zum guten Ton der nicht gerade für Zimperlichkeit bekannten Biotech-Organisationen in den USA, eine regelrechte Lobbyfront gegen China aufzubauen. Die Organisation BIO schloss einige Unternehmen mit chinesischem Hauptsitz aus, öffentliche Vergaben sollen unter Ausschluss chinesischer Firmen durchgeführt werden. Ähnlich zum Beispiel der aus China stammenden Plattform TikTok kommen diese Aktivitäten einem Berufsverbot für derartige Unternehmen gleich.

Europa beginnt, in eine vergleichbare Richtung zu agieren. Die Europäische Kommission hat Ermittlungen gegen China eingeleitet mit dem Vorwurf: China benachteilige europäische Medizintechnik-Unternehmen bei öffentlichen Ausschreibungen – „schwerwiegend und wiederholt“. Das geht aus der Bekanntmachung der Einleitung einer Untersuchung in Bezug auf Maßnahmen und Praktiken der Volksrepublik China auf dem Markt für öffentliche Aufträge hervor, die am 24. April von der Europäischen Kommission im Amtsblatt der EU veröffentlicht wurde. In den nächsten neun Monaten nimmt die Kommission „Hinweise“ zu  Chinas Verhalten im weltweiten Handel entgegen.

In Deutschland startet die Diskussion zwar auch, doch scheint die Bundesregierung in schöner „Ampel-Tradition“ hin- und hergerissen zu sein, wie man sich gegenüber China positionieren soll. Olaf Scholz war gerade auf China-Reise und beschäftigte sich zwar wohl hauptsächlich mit der Automobilindustrie, in der Reisegruppe war jedoch auch  die Vorstandsvorsitzende Belén Garijo der Merck KGaA aus Darmstadt. Das Unternehmen ist seit Jahren in China vor Ort, produziert und entwickelt dort Materialien und Lösungen für das Life-Sciences-Labor. An einen Abbruch dieser Beziehungen will Merck im Augenblick überhaupt nicht denken. Nicht nur sieht sich Merck weiter in der Rolle als Brücke zwischen den westlichen und chinesischen Wirtschaftssystemen. Garijo hält es als gar für unmöglich, dass die globale Welt „ohne China“ in Labor und Medizin voranschreiten kann.

In einem Social-Media-Post kommentierte Belén Garjio die hochkochenden Diskussionen und Abschottungsphantasien gegenüber China mit dem Spruch: „Je häufiger man nach China fährt, umso besser lernt man China kennen.“ Die Merck KGaA ist in Beijing, Shanghai, Suzhou, und Nantong vor Ort. BioNTech SE gab in den vergangenen Monaten einige Kooperationen mit chinesischen Wirkstoffentwicklern bekannt. Dem wachsenden Interesse an der Innovationspipeline aus dem „Reich der Mitte“ manifestiert durch eine wachsende Zahl an Kooperationsdeals hatten wir im |transkript-Heft 1-2024 einen Übersichtsartikel gewidmet.

Die Relocation-Bewegung, einzelne Phasen der Produktion nach Europa zurückzuholen, geht genau in die andere Richtung. Das Verhalten Deutschlands innerhalb einer europäischen Chinastrategie wird die vielfältigen Beziehungen, die es derzeit noch mit der hiesigen Pharma- und Biotech-Landschaft gibt, ganz entscheidend beeinflussen.

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