Europa will „führendes Biotechnologie-Unternehmen“ werden
Die EU-Kommission plant neue Anreize für die Biotechnologie im Gesundheitsbereich. Dazu wurde am 20. März ein lange erwartetes Papier herausgebracht mit unter anderem dem Vorschlag ein europäisches "Zentrum für Biotechnologie" zu gründen. Viele Maßnahmen bleiben vage, einige Verbände sind positiv, einige bemängeln recht kritisch, dass konkrete Angaben und ein Budget für die Umsetzungen fehlen.
„Wir wollen, dass Europa in der Biotechnologie weltweit führend wird“, sagte Margrethe Vestager, Vizepräsidentin der Europäischen Kommission und zuständig für Wettbewerbspolitik auf einer Pressekonferenz, auf der Maßnahmen vorgestellt wurden, mit denen neue Entwicklungen in der Biotechnologie und der biotechnologischen Produktion gefördert werden sollen.
„Wir wollen Europa zu einem weltweit führenden Unternehmen in der Biotechnologie machen“, sagte Margrethe Vestager, Vizepräsidentin der Kommission und zuständig für Wettbewerbspolitik. In der Mitteilung der Kommission heißt es, dass ein florierendes Biotech-Ökosystem in der EU „von strategischer Bedeutung für die Effizienz der Gesundheitsversorgung und die Widerstandsfähigkeit der Gesundheitssysteme in Zeiten der Belastung, z. B. bei Krisenfällen im Bereich der öffentlichen Gesundheit“ ist.
Biotech-Unternehmen stehen jedoch vor einer Reihe von Herausforderungen, die im Text der Kommission anerkannt werden. Zu diesen Herausforderungen gehören die Notwendigkeit einer stärkeren Unterstützung von Forschung und Entwicklung, komplexe Verwaltungsverfahren, die den Wettbewerb in Europa beeinträchtigen, Schwierigkeiten beim Zugang zu Finanzmitteln, Know-how und geistigem Eigentum sowie Hindernisse in der Wertschöpfungskette und bei der öffentlichen Akzeptanz.
Die Liste der Maßnahmen, mit denen diese Probleme angegangen werden sollen, umfasst mehr Anreize für Forschung und Entwicklung, einschließlich der Unterstützung von Unternehmen bei der besseren Nutzung von KI, die Stimulierung der Marktnachfrage, die Verkürzung der Zeit bis zur Marktreife von Innovationen und die Förderung von Investitionen in die Biotechnologie. Zu den konkretesten Maßnahmen der Verlautbarung zur Bewältigung der regulatorischen Herausforderungen gehört die Einrichtung eines EU-Biotechnologiezentrums. Dieses soll laut Vestager noch in diesem Jahr eingerichtet werden. Dem Text zufolge soll es als „operativer Mechanismus für Biotech-Unternehmen dienen, der ihnen hilft, sich im regulatorischen Umfeld zurechtzufinden und Unterstützungsmöglichkeiten für ihre Expansion zu identifizieren“.
Der Text der Kommission enthält ansonsten eine Reihe von Prüfaufträgen (quasi an sich selbst), mit Studien der Frage nachzugehen, wie die verschiedenen EU-Rechtsvorschriften verbessert werden können, um die Markteinführung von Produkten zu erleichtern. Dabei soll auch geprüft werden, ob es notwendig ist, ein EU-Biotechnologiegesetz zu entwickeln. Der Verband BIO Deutschland freut sich, dass im Papier „Building the future with nature: Boosting Biotechnology and Biomanufacturing in the EU“ Biotechnologie beziehungsweise Bioproduktion „als eine der vielversprechendsten Technologiefelder dieses Jahrhunderts bezeichnet und zahlreiche Maßnahmen skizziert [werden], die Europa zu einem starken Biotechnologie-Standort machen sollen. Der Biotechnologie-Branchenverband BIO Deutschland begrüßt dieses Papier ausdrücklich.“ Die Analyse des Status quo und die daraus abgeleiteten Aktionen „können helfen, Europa von der Schlüsseltechnologie Biotechnologie umfänglich profitieren zu lassen und international spitze zu werden“, gibt sich der Verband zuversichtlich.
Claire Skentelbery, Generaldirektorin von EuropaBio, dem europäischen Verband der Bioindustrie, kommentierte den Vorschlag, zeigte sich dabei aber auch etwas ungeduldiger und forderte eine sofortige Umsetzung der Maßnahmen. „Die nächste Kommission muss langfristige Visionen und ehrgeizige Ziele mit der sofortigen und dringenden Beseitigung bestehender Wachstumshindernisse verbinden. Die Welt beschleunigt die industrielle Produktion in der Biotechnologie und wir müssen Schritt halten“, sagte Skentelbery. Hieraus spricht schon nicht mehr ganz soviel Hoffnung, dass in dieser Wahlperiode noch größere Dinge angeschoben werden können und gleichzeitig die bange Vermutung, dass die nächste europäische Regierung wiederum einige Zeit aufwenden dürfte um diese „langfristigen und ehrgeizigen Ziele“ zu formulieren und zu einigen.
Noch deutlicher wird der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie, BPI. „Statt nur Überprüfungen und Evaluierungen brauchen wir mehr konkrete Maßnahmen für Patienten in Europa“, bemängelt Dr. Kai Joachimsen, Hauptgeschäftsführer beim Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e.V. (BPI), die von der Europäischen Kommission veröffentlichte Biotechnologie-Strategie. „Wir müssen schneller und entschiedener handeln, wenn wir den Anschluss im globalen Wettbewerb nicht verlieren wollen. Es braucht einen Booster.“
Damit spielt er unter anderem auf das 2 Mrd. US-Dollar-Programm der Biden-Administration an, die mit der National Biotechnology and Biomanufacturing Initiative ein starkes Signal für den Sektor gesetzt hatten. Auch das Vereinigte Königreich hat sich explizit ein Programm für die Förderung des „Bioengineering“ verpasst, vermutlich in der Größenordnung von 2 Mrd. britischen Pfund, die derzeit noch im dortigen Parlament in Verhandlungen stehen.
Beim EU-Vorschlag fehlt die Signalwirkung auch wegen des Ausbleibens eines mit der Ankündigung verbundenen Budgets. Dazu ist wenige Wochen vor einer Neuwahl wohl keine Möglichkeit gewesen. Der Aufschlag könnte deswegen aber auch ohne größere Wirkung einfach verhallen und von anderen Themen des EU-Wahlkampfes und einer neuen Strategie der nächsten EU-Kommission übertönt werden.