Evotec stürzt tief
Die Hamburger Evotec SE kassiert die Jahresprognose und löst damit ein Kursbeben mit dramatischem Ausverkauf aus, das die Aktie um über 30% abschmieren lässt. Von über 20 Euro zum Jahresbeginn auf nurmehr 5,40 Euro sind ein Wertverlust von rund 75% in nur sieben Monaten und man muss fragen, ob der Boden jetzt endlich erreicht ist oder die Börsianer maßlos übertrieben haben?
Alleine mit stoischer Hamburger Gelassenheit scheint der Dampfer Evotec nicht mehr in ruhigere Gewässer zu gelangen. Die vor der Verkündung der offiziellen Halbjahreszahlen zum 14. August bereits am Dienstag gemeldete Anpassung der Jahresprognose hat an der Börse eine Art Panik ausgelöst. Warum, wäre in rationalen Zeiten sicherlich die richtige Frage, doch rationale Zeiten herrschen anscheinend nicht mehr beim Thema Evotec. (*am Schluss ergänzt am 13.8.2024)
Denn der Anpassungsbedarf für das laufende Geschäftsjahr liest sich nicht wie das Drehbuch zu einem solchen Börsendrama. Der Konzernumsatz solle nun in einer Höhe von 790–820 Mio. Euro landen, was zwar nun nur noch ein Wachstum im niedrigen bis mittleren einstelligen Prozentbereich gegenüber dem bisher prognostizierten niedrigem zweistelligem prozentualem Wachstum bedeutet. Gegenüber 2023 und dem damaligen Jahresergebnis von 781,4 Mio. Euro ist aber auch die angepasste Prognose eine Umsatzsteigerung. Grund zur Panik?
Gleichzeitig werden F&E-Aufwendungen von 50–Mio. Euro erwartet, was im Vergleich zur bisherigen Prognose eine niedrig zweistellige prozentuale Reduzierung gegenüber er bisher vorausgeplanten mittleren einstelligen bis niedrig zweistelligen Reduzierung bedeutet. Im Jahr 2023 lagen die F&E-Aufwendungen bei 64,8 Mio. Euro. Eine Abänderung der Prognose in diesem Bereich um wenige Prozentpunkte ein weiterer Grund zur Panik?
Alleine beim bereinigten EBITDA hat die neue Prognose mit einem deutlichen Unterschied zu den bisherigen Annahmen aufzuwarten: diese soll nun voraussichtlich 15–35 Mio. Euro erreichen und statt einem mittlerem zweistelligem prozentualem Wachstum nun auf eine mittlere zweistellige prozentuale Reduzierung hinauslaufen. 2023 lag das EBITA bei 66,4 Mio. Euro. Hat dieser Gewinnrückgang die Börsianer zum Verkaufen getrieben? Möglicherweise, jedoch hat man sich da vielleicht ein wenig schnell verschrecken lassen. Denn die weitere vorgezogene Darlegung der Hamburger zu ihrem offiziellen Berichtstermin macht deutlich, dass die Geschäfte laufen.
Die Aufträge für Shared R&D im Discovery-Geschäft sind im ersten Halbjahr stark gestiegen, erklärte das Unternehmen, schiebt jedoch auch selbst als Erläuterung nach, dass dies aufgrund des „langfristigen Charakters der kürzlich unterzeichneten Verträge“ sich nicht so schnell in Umsätze umwandeln lasse, und dies auch etwas langsamer als ursprünglich erwartet erfolgen könnte. Der Umsatz von Just – Evotec Biologics, die Biologics-Produktionseinheit von Evotec, wuchs im mittleren zweistelligen Bereich gegenüber einer schon starken vergleichbaren Basis, die auf die Unterzeichnung der Technologiepartnerschaft mit Sandoz im Mai 2023 zurückzuführen ist.
Während die Aufträge also für eine gute Zukunft sprechen, macht das Unternehmen deutlich, dass die hohen Fixkosten die Marge und damit das Ergebnis belasten. Während die Kosten gleich und sofort anfallen – Infrastruktur, Personal, Technologieintegration und ähnliches mehr –, sind die Auswirkungen auf das Betriebsergebnis eher längerfristiger Natur. Getrieben wurden die Kosten auch durch den Kapazitätsaufbau des J.PODs in Toulouse, Frankreich, der planmäßig verlaufe, um die Anforderungen im Zusammenhang mit der deutlichen Ausweitung der Kundenaufträge verschiedener Partner zu erfüllen. Die Vorleistung der Kosten schlügen aber eben jetzt direkt in die Bilanz, während die Auftragserlöse sich erst später realisieren würden.
Fixkosten im Blick
Die Betriebskosten scheinen nun das große Thema bei Evotec zu sein und der dramatische, inhaltlich betrachtet wohl etwas überzogene, Sturz an der Börse wird einem internen Kostenreduzierungsprogramm weitere Argumente liefern. Der Ex-McKinsey-Mann Dr. Christian Wojczewski, seit dem 1. Juli als Chief Executive Officer von Evotec in Verantwortung, tritt nun an, die Kostenseite stärker in den Blick zu nehmen. Er kommentierte die Prognoseanpassung: „Evotecs wichtigste Erfolgstreiber sind ihre differenzierten Wirkstoffforschungs- und -entwicklungsplattformen sowie die Qualität und Expertise ihrer engagierten Mitarbeiter. Wir stehen jedoch vor Herausforderungen, die dringend angegangen werden müssen. Ich bin überzeugt, dass die Neuausrichtung der Prioritäten mit einer verfeinerten Prognose der Ausgangspunkt ist, um das Vertrauen wiederherzustellen, den Fokus unserer Organisation zu schärfen und Evotec wieder auf den Weg zu besserer Performance und nachhaltigem Wachstum zu bringen. Wir werden unsere Strategie weiter evaluieren und verfeinern, die Komplexität reduzieren und neue Ansätze verfolgen, um unsere führende Position und unsere finanzielle Performance zu stärken.“
Eigentlich müsste ein Sparminister bei der Börse gut ankommen, eventuell ist diese Botschaft noch nicht durchgedrungen. An den einzelnen Evotec-Standorten allerdings ist die Botschaft durchaus schon gehört worden und dort sei die Stimmung entsprechend „schwierig“ wie von Mitarbeitern zu hören ist. Bisher war im vielfältigen Technologieportfolio von Evotec der Standort der Komptenzträger nicht so entscheidend. Eher lautete die Devise nach den vielen Einkäufen kleiner Biotech-Schmieden, dass das Know-How dort in den Köpfen der Menschen schlummere, und man dieses nicht verpflanzen könne – was regelmäßig als eine Standortgarantie verstanden werden konnte. In veränderten Zeiten und einer neuen Unternehmensführung geschult im Studium von langen Zahlenkolonnen könnte diese Garantie ins Wanken geraten.
Der Fall Lanthaler
Auslöser der ganzen Misere um das einstige Biotech-Flaggschiff Evotec war der überraschende und überstürzte Rückzug von Langzeit-CEO Werner Lanthaler im Januar, der durch verschleppte Bekanntmachung von Aktiengeschäften sich selbst in ein schlechtes Licht rückte, obwohl maßgeblich seine Langzeitstrategie das Unternehmen überhaupt in neue Sphären geführt und die damit verbundenen zahlreichen und erfolgreichen Pharmapartnerschaften zu einem einträglichen Geschäft geführt haben. Um den Fall ist es ruhiger geworden.
Wenn mit einer zukunftsorientierten Präsentation zum Halbjahr die Vision des Unternehmens wieder mehr in den Vordergrund rückt – was man vom Zahlenmenschen Wojczewski zumindest erhoffen mag – könnte sich das Unternehmen langsam am eigenen Schopf aus dem selbstverschuldeten Schlamassel ziehen. Völlig unbeeindruckt von all diesen Geräuschen verhält sich nämlich Langzeitpartner Bristol Myers Squibb. Seelenruhig wird weiterhin aus den Entwickungsprojektpartnerschaften mit Evotec eine Option nach der anderen gezogen, was den Hamburgern aktuell im Bereich Neurologie eine weitere Meilensteinzahlung in Höhe von 25 Mio. Euro erbringt. Vielleicht nur Peanuts im Vergleich zur Kostenstruktur des Unternehmens, aber eine solche regelmäßig sprudelnde Einnahme weist zumindest darauf hin: bei Evotec wird vernünftig geforscht und gearbeitet.
* Eine aktuelle Meldung aus einer spezifischen Kooperation von Evotec mit Bristol Myers Squibb bestätigt die Einschätzung: am 13.8. meldet Evotec einen kräftigen Fortschritt bei der gemeinsamen Entwicklung einer Pipeline von so genannten Molecular Glues, Klebstoffmolekülen, die ein gewünschtes Zielmolekül mit dem Ubiquitin-Abbauweg verknüpfen und damit eine fehlerhafte Hochregulierung eines Moleküls über einen zelleigenen Entsorgungsweg abdämpfen können. Für den Entwicklungsfortschritt hat Bristol Myers Squibb der Hamburger Evotec nun eine erfolgsabhängige Meilensteinzahlung von 75 Mio. US-Dollar überwiesen.