Svea Pietschmann

Nationale Strategie für Zell- und Gentherapien übergeben

In knapp einjähriger Arbeit haben acht Arbeitsgruppen Maßnahmen und Ziele definiert, die Deutschland zum Spitzenstandort für Zell- und Gentherapien machen sollen.

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Die feierliche Übergabe der 136-Seiten starken Strategie an Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) durch Christopher Baum, Vorsitzender des koordinierenden Berlin Institute of Health (BIH), fand vor mehr als 200 Besuchern aus Verbänden, Politik und Wissenschaft im Berliner Futurium statt. Schon zuvor hatten die Pharmaverbände vfa und BPI sowie der Biotech-Industrieverband BIO Deutschland die strategische Wichtigkeit des Feldes unterstrichen. „Auf den Gen- und Zelltherapien ruhen große Hoffnungen“, sagte Stark-Watzinger. In dem Bestreben, die exzellente Grundlagenforschung durch geeignete Regularien, einen verbesserten Technologietransfer und beschleunigte, aber qualitativ hochstehende Zulassungsverfahren zum Patienten zu bringen, könne die Forschung auf die Unterstützung der Politik zählen. Zwar nimmt sich die Anstoßförderung von 48 Mio. Euro, davon 44 Mio. Euro durch den Bund, noch recht bescheiden aus, verglichen mit den jährlich 165 Mio. US-Dollar, die das zusammen mit den USA führende China seit 2004 in das Feld gesteckt hat. Der Wille zur Vernetzung und zur Zusammenarbeit der sehr verschiedenen Akteure war auf der Veranstaltung in Berlin jedoch deutlich spürbar.

Baum betonte den hohen potentiellen Nutzen des seit der ersten Zulassung einer Zell- und Gentherapie in den USA (Kymriah, Akute lymphatische Leukämie) vor sieben Jahren weltweit expandierenden F&E-Feldes für die Patienten und die breiten Einsatzmöglichkeiten in verschiedensten Indikationen. Nach Recherchen des vfa zielen mehr als 50% der laufenden klinischen Studien auf die zielgerichtete, kurative Behandlung von Krebs ab, was auch mit noch hohen Herstellungskosten zusammenhinge. Wirksamkeiten von bis zu fünf Jahren seien dabei keine Ausnahme. Sie ließen sich aber im Rahmen klinischer Studien kaum vorhersagen. Deshalb müssten bei Kosten zwischen 300.000 Euro bis 4,25 Mio. Euro für die Einmalbehandlung neue Erstattungsmodelle wie etwa das von Pharmaverbänden favorisierte Price-by-Perfomance-Modell diskutiert werden. Kostenträger wie die Techniker Krankenkasse warnten vor einem potentiellen Kollaps des Gesundheitssystems, wenn es nicht gelänge, die Kosten zu reduzieren.

Als zentrale Herausforderung benannten Baum und die in Berlin versammelten Leiter der zuständigen Arbeitsgruppen für Vernetzung, Zulassungsfragen, GMP-Produktion, Kompetenzaufbau, Tech-Transfer, F&E, Standards und Rahmenbedingungen und Kommunikation die Vernetzung und ein gemeinsam abgestimmtes Vorgehen sämtlicher Beteiligten und die Schaffung einer Governance-Struktur, die den Austausch aller Repräsentanten der Glieder der Wertschöpfungskette ermöglicht. Nach aktueller Planung soll dies durch eine interaktive Landkarte ermöglicht werden, die ein Nationales Netzwerkbüro unter Leitung von Dr. Elke Luger bis 2026 erstellen soll. Das Büro soll auch alle anderen Aktivitäten wie Events, Fortbildungen, Kommunikation etc. umsetzen.

Ein Runder Tisch soll den Dialog mit politischen Entscheidungsträgern über wichtige Infrastrukturen wie dezentrale GMP-gerecht arbeitende Produktionsstätten für Vektoren und Zellen erleichtern und verstetigen. Dabei könnte ein Projekt im Rahmen der pandemic prepardness Modell stehen. Im Jahr 2022 hatte die Bundesregierung Verträge mit Vertragsherstellern (CDMOs) für mRNA-Impfstoffe abgeschlossen, um Produktionskapazitäten im Falle einer erneuten oder wiederaufflammenden Pandemie vorzuhalten.

Die Fraktionssprecher für Gesundheit der Ampelkoalition zeigten sich mit Blick auf die Strategie offen. „Wir müssen dafür sorgen, dass Zell- und Gentherapien nicht nur im Ausland verfügbar sind“, meinte Laura Kraft (Bündnis 90/Die Grünen). Es sei ein wichtiges Anliegen, die Rahmenbedingungen positiv zu gestalten. Die Pandemie habe dahingehend die Wahrnehmung der Gesellschaft für Anliegen der Gesundheitspolitik sensibilisiert. Da die Skalierung der Produktion Industriesache sei, müsse hier auf die Bedürfnisse der Unternehmen geachtet werden, ergänzte Maximilian Funke-Kaiser (FDP). Auch die CDU signalisierte auf der Veranstaltung Unterstützung.

Die meiste Zeit auf dem Weg von der Forschung ans Patientenbett gehe derzeit bei der Vektorherstellung verloren. Erst unlängst hatte die Roche AG in Penzberg hierzu eine 90 Mio. Euro-Produktionsstätte im bayerischen Penzberg eingeweiht. Es gelte, bessere Infrastrukturen – neudeutsch Hubs – für Biotech-Unternehmen, die GMP-Produktion und zentrale Beschaffung kritischer Rohstoffe zu schaffen, sagte Arbeitsgruppenleiter Michael Hudecek. Entscheidend sei auch die öffentliche Wahrnehmung des Innovationfeldes. „Die Information der Öffentlichkeit darf nicht dem Zufall überlassen werden“, hieß es im Futurium. Philipp Beckhove, Sprecher der Arbeitsgruppe Vernetzung, schlug einen Pakt für Innovation vor, um zugleich den Austausch mit der Politik und untereinander zu verstetigen.

Was den Technologietranfer betreffe, hinke Deutschland nicht nur China und den USA nach. Es sei auch in Europa in Sachen Patente und Ausgründungen nicht gut aufgestellt. Es gelte zudem, Ausgründungen und das Seedfinancing zu verbessern, damit diese nicht in den USA stattfänden, die wesentlich bessere Rahmenbedingungen für Biotech-Start-ups bieten. „Wir brauchen Investitionen und wir brauchen einen besseren Umgang mit der Vernetzung von Ideen“, fasste Baum in seiner Funktion als Sprecher der neuen Initiative zusammen.

[tg]

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