Miltenyi Biotec: Seltene Einblicke
Bei Biotechnologie in Deutschland fallen schnell diverse Namen etwa der börsennotierten Firmen oder über große Finanzierungsrunden. Seit Corona kennen alle das größte Unternehmen BioNTech SE in Mainz. Wer länger auf die Branche schaut, dem fallen noch Qiagen und vielleicht Evotec ein. Dass aber in Bergisch Gladbach bei Köln das größte private Unternehmen der Branche sitzt, wissen nur wenige. Den Namen haben viele im Labor schon gehört oder ein Gerät der Firma genutzt: Miltenyi Biotec. Die Firma, die als Holding vollständig Holding Miltenyi Biotec B.V. & Co. KG heißt und diverse Tochterfirmen hat, verzichtet auf breit angelegte Kommunikationsarbeit über das Produktmarketing hinaus. Gründer Stefan Miltenyi hält sich selbst kommunikativ zurück und gestaltet die Öffentlichkeitsarbeit sehr fokussiert. Darum ist es fast etwas Besonderes, dass er diesmal auf einen Fragekatalog der |transkript-Redaktion geantwortet hat.
|transkript: Herr Miltenyi, Sie halten sich kommunikativ sehr zurück. Man findet nur selten einen tieferen Einblick in Ihr Unternehmen und daher die erste Frage: wie steht Miltenyi Biotec eigentlich gerade da? Fangen wir mit den Mitarbeitern an.
Stefan Miltenyi: Wir beschäftigen weltweit etwa 5.000 Mitarbeiter, davon mehr als die Hälfte in Deutschland. In den vergangenen fünf Jahren sind wir an allen Standorten in Hinsicht auf Mitarbeiterzahlen sowie Gebäudeinfrastruktur stark gewachsen, überproportional in den USA.
|transkript: Wo hat Miltenyi überall Niederlassungen?
Stefan Miltenyi: In Deutschland haben wir sechs Standorte, in den USA sieben. Wir sind global in 24 Ländern vertreten und haben seit diesem Jahr auch unsere eigene indische Niederlassung.
|transkript: Wie darf man sich Ihre Internationalisierungsstrategie vorstellen. Wo setzten Sie die Schwerpunkte?
Stefan Miltenyi: Die USA sind gemeinsam mit der APAC-Region nach wie vor schneller in der Entwicklung neuer Zell- und Gentherapien. Insbesondere in den USA ist die finanzielle Förderung der biomedizinischen Forschung beispielhaft. China zeigt, wie durch eine strategische Förderung Zell- und Gentherapien schnell zum Patienten kommen. Indien stellt einen großen und wachsenden Markt dar mit starken Bestrebungen, in diesen Bereich strategisch zu investieren.
|transkript: Dennoch gibt es auch eine Art Rückwärtsbewegung im Zell- und Gentherapiesektor. Investitionen, also Finanzierungen von Unternehmen in dem Segment sind gerade in den USA in den vergangenen Monaten stark zurückgegangen. Ist das nicht beunruhigend für Sie?
Stefan Miltenyi: Wir sehen hier vielmehr eine Verschiebung der Investitionstätigkeit im Zell- und Gentherapiemarkt weg von kleineren Start-ups hin zu größeren etablierten Playern – auch weil viele Projekte mittlerweile in späten klinischen Entwicklungsphasen oder sogar schon am Markt sind. Da unsere technologischen Plattformen eine Verringerung der Herstellungskosten ermöglichen, werden wir davon profitieren können.
|transkript: Welche Gerätschaften, welches Laborequipment liefern Sie genau für diesen Zelltherapiesektor?
Stefan Miltenyi: Miltenyi Biotec liefert sowohl die technologischen Plattformen als auch die Biologicals, die benötigt werden, um CAR-T-Zelltherapien herzustellen und die nötigen Qualitätskontrollen durchzuführen. Wir bieten sowohl automatisierte Herstellungsplattformen als auch GMP-Zellseparationsreagenzien, Medien, Cytokine wie auch lentivirale Vektoren. All diese Produkte wurden bei uns entwickelt, und wir machen diese und unser Know-how auch Kooperationspartnern in der akademischen Forschung und der Industrie verfügbar.
|transkript: Sie halten sich mit Finanzkennzahlen zum Unternehmen sehr zurück, müssen auch nichts verlautbaren. Vor wenigen Jahren hieß es aber einmal, dass Sie die Umsatzmilliarde anstreben. Haben Sie das geschafft?
Stefan Miltenyi: Noch nicht ganz, aber wir arbeiten daran.
|transkript: In der Miltenyi Biomedicine entwickeln Sie selbst klinische Zelltherapeutika, zwei CAR-T-Projekte, die in der Phase II stehen. DLBCL ist dabei eine Indikation, in der bereits CAR-T-Therapien zur Verfügung stehen, alle haben keinen vollständigen Durchbruch gebracht. Was kann Miltenyi hier „besser“ machen als andere?
Stefan Miltenyi: Das CAR-T-Zellprodukt von Miltenyi Biomedicine ist ein Tandem CAR gegen die B-Zell-Antigene CD20 und CD19, sodass die Tumor-Escape-Mechanismen besser adressiert werden können. Zusätzlich wird das fertige Zellprodukt den Patienten ‚frisch‘ verabreicht, sodass die CAR T Zellen nicht durch den Gefrierprozess in ihrer Wirksamkeit beeinträchtigt sind.
|transkript: Wo steht diese klinische Entwicklung?
Stefan Miltenyi: Die bisherigen klinischen Daten aus der noch andauernden klinischen Entwicklung deuten an, dass Zamto-cel das Potential hat, ein hochwirksames und verträgliches Zellprodukt zu sein. Gemeinsam mit unseren Kooperationspartnern in Erlangen und Tübingen haben wir einen medizinischen Durchbruch mit CAR-T-Zellen bei Autoimmunerkrankungen erzielen können. Daneben schaut Miltenyi Biomedicine aber auch, in welchen weiteren Indikationen unsere Entwicklungen erfolgversprechend sind.
|transkript: Allgemein hört man, dass so viele Zelltherapien in klinischen Studien erprobt werden und zudem die vielen Kombinationsmöglichkeiten der Vorbehandlung von Patienten langsam überkomplex werden, dass es fast schwierig geworden ist, noch ausreichend Teilnehmer in Studien rekrutieren zu können. Ist das ein Problem auch für Miltenyi?
Stefan Miltenyi: Die Rekrutierung unserer Zulassungsstudien in Europa und den USA ist abgeschlossen. In weiteren Indikationen, die wir bearbeiten, ist der medizinische Bedarf hoch, sodass wir keine Probleme bei der Rekrutierung der Studien erwarten.
|transkript: Und die Finanzierung solcher klinischer Entwicklungsphasen stemmen Sie mit der wohlwollenden Hausbank?
Stefan Miltenyi: Wir finanzieren die Studien aus unserem laufenden Geschäft.
|transkript: Nehmen wir einmal die regionale Entwicklung von Zelltherapie-Behandlungs- und Kompetenzzentren als gegeben an. Dann gibt es strategisch die Möglichkeiten (neben sicherlich weiteren), selbständig solche Zentren zu etablieren oder eher für diese Infrastruktur die Geräte zu liefern. Welche Strategie fährt Miltenyi?
Stefan Miltenyi: Wir haben mittlerweile eigene Cell Factories in Deutschland und den USA eröffnet. Die Zellseparation ist nur noch ein Bestandteil der komplexen Herstellungsprozeduren. Wir können heute die gesamte Infrastruktur wie auch die Workflows für die Herstellung eines Zelltherapeutikums bereitstellen. Dies betrifft nicht nur CAR-T-Zellen, sondern auch genetisch modifizierte hämatopoetische Stammzellen und viele andere Zelltypen.
|transkript: Aber auch rings um das ‚Produkt Zelle‘ kann man zusätzliche Serviceangebote entwickeln: Qualitätskontrolle des Zellmaterials, geschlossene GMP-Gerätschaft, needle-to-needle Automation, Datenanalyse … Wo sieht sich da Miltenyi?
Stefan Miltenyi: Wir haben für alle diese Bereiche Lösungen entwickelt. Der CliniMACS Prodigy® ist als geschlossenes vollautomatisiertes System zur Zellherstellung inzwischen Industriestandard. Für die Qualitätskontrollen im Herstellungsprozess bieten wir mit unseren MACS Quant® Flow Cytometern und unseren Antikörperpanels eine umfassende Lösung. Mit unserer MACSima® Imaging-Plattform bieten wir Forschern neue Möglichkeiten, komplexe zelluläre Interaktionen wie auch in Tumoren über Proteinprofilierung und RNA-Detektion zu analysieren (Stichwort: spatial biology). Dazu kommen die vielen (GMP) Reagenzien, Softwarelösungen, unsere kundenspezifischen CDMO Services der Miltenyi Bioindustry mit eigenen CliniMACS Cell Factories in Deutschland und den USA sowie GMP-Infrastruktur zur Herstellung lentiviraler Vektoren und anderer Biologicals. Wir haben viele laufende Projekte, um in der Zukunft mehr Patienten neue Zell- und Gentherapien zugänglich zu machen.
|transkript: Dann begrüßen Sie sicherlich, dass sich nun auch mit etwas Verzögerung Deutschland eine ‚Nationale Zelltherapie-Strategie‘ gegeben hat und den Sektor stärker unterstützen will?
Stefan Miltenyi: Die Initiative ist durchaus auch für Miltenyi Biotec und Biomedicine relevant und wir bringen uns hier aktiv ein. Wir produzieren zu nahezu 100% in Deutschland – ein klares Standortbekenntnis. Um dies auch zukünftig tun zu können, muss der Standort wieder attraktiver werden für die Spitzenforschung. Außerdem müssen Gesetzgebungen und Zulassungsverfahren Schritt halten mit innovativen Entwicklungen und beispielsweise schnellere und einfachere Wege zum kommerziellen Erfolg ebnen, damit Firmen langfristig am Standort gehalten werden. Hier sind uns die USA um Längen voraus. Die nationale Strategie ist zunächst einmal ein deutliches Zeichen an die Bundesregierung, Forschung und Entwicklung von Gen- und Zelltherapien in der Zukunft besser und strategischer zu unterstützen. Es wird jetzt entscheidend sein, wie schnell die Strategie in die Umsetzung von Maßnahmen kommt, damit Deutschland sich nicht auch noch in diesem Bereich deindustrialisiert.
|transkript: Nun sind Sie mit der Gründung von Miltenyi im Jahr 1989 ein, entschuldigen Sie, Dinosaurier der Branche. Gibt es da schon Überlegungen zur Nachfolge, zum Ruhestand, oder ist das nicht aktuell für Sie?
Stefan Miltenyi: Das Unternehmen liegt mittlerweile auf den Schultern vieler Mitarbeiter. Ich plane nicht, in näherer Zukunft in den Ruhestand zu gehen.
Weitere Fragen, etwa zu mehr Details über die finanzielle Ausstattung und Substanz des Unternehmens, wollte Stefan Miltenyi nicht beantworten. Dies hat er vermutlich auch deshalb nicht nötig, da die Kreissparkasse Köln als Hausbank regelmäßig mit hohen Beträgen Kredite an das kerngesunde Unternehmen ausreicht. Vom Juli 2023 gibt es dazu eine der wenigen öffentlichen Mitteilungen, dass sich durch einen neuerlichen Kredit der Kreissparkasse Köln an die Holding Miltenyi Biotec B.V. & Co. KG das Finanzierungsvolumen insgesamt auf 375 Mio. Euro erhöht habe. Wohl deswegen hört man Miltenyi auch nie ins allgemeine Klagelied zur Finanzsituation der Branche einstimmen.