Vertriebskonzepte strategisch planen

Hersteller von Medizinprodukten sowie deren Vertriebsorganisationen führen ihre Produkte und Marken durch einen mehrstufigen Vertriebsprozess: Marktauftritt, Gewinnung und Verteidigung von Marktanteilen – jeweils entsprechend den nationalen Erfordernissen.

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Medtech-BUSINESS ist die Strategiekolumne von medtech zwo. Sie erscheint mehrmals im Jahr. Unser Autor ist André Riesinger, Geschäftsführender Gesellschafter der Benion GmbH & Co. KG, einer in Deutschland ansässigen internationalen Unternehmensberatung, die sich u.a. auf Medizinprodukte spezialisiert hat und sämtliche Unternehmensphasen – von der Produktidee über die Gründung, Etablierung und Internationalisierung bis zur Veräußerung an strategische Investoren – begleitet. Riesinger ist approbierter Arzt und verfügt selbst über weitreichende eigene Erfahrungen mit der erfolgreichen Etablierung und Internationalisierung von Medtech-Unternehmen.

Medtech-BUSINESS – TEIL 2: Vertriebskonzepte strategisch planen

Nicht erst sein Inkrafttreten der EU-Medizinprodukteverordnung (EU 745/2017) ist der Bereich Vertriebsentwicklung für Medizinprodukte ein sehr spezialisiertes Themenfeld. Klassische Modelle, die die Segmente Product, Price, People, Promotion, Processes, Physical evidence und Place abbilden, stoßen oft an Grenzen, die sich erst zu einem späten Zeitpunkt im Prozess  darstellen. Die frühzeitige Einbeziehung nationaler und internationaler Marktgegebenheiten in den Prozess der Vertriebskonzeption ist ratsam, um einen nachhaltigen und belastbaren Boden für einen möglichst langlebigen und erfolgreichen Produktlebenszyklus zu erzeugen.

Voraussetzung für den Vertrieb

Voraussetzung für den Vertrieb von Medizinprodukten ist die länderspezifische Produktzulassung. Um diese zu erlangen, sind die Kenntnis, Einhaltung und Umsetzung verschiedener landestypischer Richtlinien und Normen sowie unterschiedlicher behördlicher Vorgaben und Gesetze erforderlich.

In der EU sind viele dieser Rahmenbedingungen hinreichend bekannt und zunächst klar geregelt. Artikel 13 und 14 der MDR befassen sich mit Import und Handel, §83 MPDG diskutiert Vorgaben für Beratung und Einweisung, und Artikel 12 der Verordnung (EU) 2017/745 legt die Pflichten des EU-Bevollmächtigten fest.

Neben der CE-Kennzeichnung, welche die Grundlage der Verkehrsfähigkeit von Medizinprodukten in der EU bildet, sind jedoch weitere Aspekte für die internationale Vermarktung relevant.

Nationale Gegebenheiten

Wer sein Produkt in internationalen Märkten platzieren will, sollte in dem jeweiligen Gesundheitssystem sattelfest sein. Gesundheitsökonomisch betrachtet, dominieren drei verschiedene Systeme, auch innerhalb Europas.

Aus Deutschland, den Niederlanden, Frankreich, Belgien und Österreich ist das korporatistische Gesundheitssystem bekannt. Es ist finanziert aus lohnbezogenen Beiträgen, und selbstverwaltende Krankenkassen betreiben untereinander einen Risikoausgleich. Dem Trend zur Expansion der Ausgaben begegnet man durch sektoral vereinbarte Budgetierungen.

Staatliche Gesundheitssysteme, wie zB in UK oder Skandinavien vorliegend, finanzieren sich hingegen aus Steuereinnahmen. Staatliche Einrichtungen definieren Leistungen, Preise und das Qualitätsniveau des Angebots.

Liberale Gesundheitssysteme, wie in der Schweiz oder den USA, setzen auf Wettbewerb, Freiwilligkeit und Eigenfinanzierung aus privater Initiative des Individuums.

Es ist naheliegend, dass die Unterschiede in diesen System jeweils andere vertriebsrelevante Rahmenbedingungen mit sich bringen. Signifikant divergierende Preisgefüge, grundlegend verschiedene Logistik-Ketten und gänzlich verschiedene Entscheidungsprozesse prägen das Bild. Einen One-Size-Fits-All-Vertrieb kann es daher nicht geben: Jedes Land braucht seinen spezifischen eigenen Marktzugang.

Die Vermarktbarkeit von Medizinprodukten ist auch in europäischen Ländern zusätzlich an weitere Bedingungen geknüpft. Registrierungen bei Behörden bilden eine Voraussetzung, die von Land zu Land verschieden ist.

In Frankreich ist beispielsweise die Registrierung bei der ANSM (Agence nationale de securité du médicament et des produits de santé) notwendig, die vom Vertriebspartner oder vom Hersteller durchgeführt werden kann. Zu beachten sind die Besitzverhältnisse dieser Registrierung – in Frankreich beispielsweise erfolgt diese im Namen des Herstellers.

Einen aktuellen Sonderfall bildet die Schweiz. Geographisch inmitten von Europa gelegen, ist sie regulatorisch betrachtet Stand heute ein Drittland. Unter der MDD 93/42 EWG bestand ein MRA (Mutual Recognition Agreement), ein Abkommen zur gegenseitigen Anerkennung. Mit Auslaufen der MDD und Inkrafttreten der MDR ist dieses formell ausgelaufen, Verhandlungen über ein neues Rahmenabkommen sind jedoch bislang erfolglos geblieben. Unter Nutzung bestehender Übergangsfristen und Einzelmaßnahmen sind die Handelswege weiterhin offen, jedoch bedarf es zur dauerhaften Beseitigung technischer Handelshemmnisse für beide Seiten einer Aktualisierung des MRA – nicht nur für den Import von Medizinprodukten in die Schweiz, sondern auch für den Export, denn etwa 46% der exportierten schweizerischen Medizinprodukte werden in die in die EU vertrieben.

Der Export in den weltweit größten Gesundheitsmarkt, den USA, bedarf wiederum ganz eigener Maßnahmen. Die zunächst wichtigste ist hier der Prozess der Produktzulassung unter FDA (Food and Drug Administration) – mit zum Teil gänzlich anderen Anforderungen, als europäische Marktteilnehmer gewohnt sind. Darüber hinaus müssen in den USA weitere Rahmenbedingungen bedacht werden, da Marktteilnehmer bestimmten behördlichen Erfordernissen zu entsprechen haben. Während einige Hersteller beispielsweise mit Blick auf Produkthaftungsprozessen diesen Markt nicht priorisieren, gehen andere von der Beherrschbarkeit der Risiken aus und fokussieren diesen Markt aufgrund seines Volumens, sowie seines  zum Teil einfacheren Zugangs.

Weitreichende Eigenheiten zeigt auch der Zugang zum Markt in Russland und der Eurasischen Union. Sprachbarrieren, ein eher verschachteltes und  – von außen betrachtet –  undurchsichtiges Zulassungsverfahren sind hier zu nennen, allerdings bietet dieser Markt auch den direkten Zugang zu einer Population von 150 Millionen Einwohnern. Die russische Gesundheitsbehörde Roszdravnador ist zuständig für diesen Prozess. Üblicherweise werden übersetzte Dokumente aus der Technischen Dokumentation zumindest zu den Bereichen Produktsicherheit, Produktleistung und -Nutzen sowie Überwachung erwartet. Darüber hinaus können auch Tests auf landeseigenem Boden erforderlich werden.

Erstattung

Auch Erstattungssysteme sind innerhalb Europas deutlich verschieden. Signifikant divergierende Preisgefüge, Prozesse der Beantragung und Kategorisierungen von Produktgattungen liegen selbst innerhalb der EU vor. Im Regelfall stellt die Kostenerstattung durch das öffentliche Gesundheitssystem einen wichtigen Pfeiler für den Markterfolg dar, daher sollte der Markteintritt aufgrund der landeseigenen Spezifika strategisch geplant werden.  Gesundheitsökonomische Daten zum jeweiligen Produkt und ein robustes Maß an belastbarer, rein klinischer Evidenz sind sehr hilfreich, immer häufiger auch notwendig für Anträge auf Kostenerstattung.

Empfehlungen

Vor Eintritt in ein neues Absatzgebiet sollten aus unserer Sicht mehrere Punkte Anwendung finden.

  1. Der Übertrag von Erfolgsstrategien aus einem Gebiet auf ein anderes Gebiet wird mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zu dem gewünschten Erfolg führen. Vor Eintritt in ein Land ist dieses auf seine allgemeinen und speziellen Marktbedingungen zu prüfen.
  2. Auch nach Eintritt in diesen Markt bedarf es einer regelmäßigen Marktbeobachtung. Geänderte Gesetzeslagen, veränderliche Höhen der Erstattung und im Wandel begriffene Wettbewerbslagen sind frühzeitig zu erfassen, bewerten und ggf. in die langfristige Strategie aufzunehmen.
  3. Die Planung der Produktstrategie, incl. des Portfolios über die nächsten 5 Jahre, und der Preisstrategie sowie des zu wählenden Vertriebskonzepts sollte frühzeitig, aber langfristig geschehen. Die Entscheidungen hierzu werden jeweils nicht kurzfristig modifizierbar sein, so dass eingehende Wettbewerbsanalysen, konsequente Markenführung und tiefgreifende Kenntnis zum Kundenverhalten zentral berücksichtigt werden sollten.
  4. Spezifisch zur jeweiligen Zielgruppe sollte ein landestypisches Kommunikationskonzept Anwendung finden. Da Entscheidungsprozesse, Wege der Warenflüsse und Verständnisse von Qualität, Nutzenerwartung und Preis-Leistungs-Verhältnissen deutlich voneinander abweichen können, sind landeseigene Konzepte zur Marktansprache, zum Leistungsversprechen und zur Markenbildung empfehlenswert.

Vertriebskonzept

Bei der Frage nach dem besten Modell des Vertriebs kann die kluge Auswahl eines geeigneten Vertriebspartners entscheidend sein. Manche Hersteller können so auf den Aufbau einer eigenen Vertriebsmannschaft verzichten sowie einige der o.g. Punkte delegieren. Allerdings geht damit eine komplexe Aufgabe einher, denn der Vertriebspartner sollte sowohl vertrauenswürdig, hungrig als auch und fähig sein. Es gilt den einen Partner zu finden, der die Marke langfristig und solide etabliert. Eine unglückliche Wahl kann fatal für die eigene Marke sein.

In Abhängigkeit von der Produktart und den kundenspezifischen Gegebenheiten sollte ein Vertriebspartner identifiziert werden, der mindestens die folgenden Eigenschaften zeigt:

  1. Er sollte über eine landesweite Abdeckung mittels seines Vertriebsteams verfügen, zumindest jedoch in den Metropolen des Landes gut repräsentiert sein.
  2. Der Umfang seines bestehenden Produktportfolios sollte nicht allzu groß sein, um die nötigen zeitlichen Ressourcen für Neuprodukte aufbringen zu können. Vertriebspartner mit großen Produktkatalogen werden ihren Fokus kaum auf ein einzelnes neues Produkt legen.
  3. Die gute und belastbare Vernetzung mit Zielgruppen, Entscheidungsträgern, Meinungsbildnern und Endanwendern im Land ist unabdingbar. Sein Ruf als ernsthaftes, vertrauenswürdiges und solides Unternehmen strahlt mit auf das neue Produkt.
  4. Die Einführung und Etablierung eines neuen Produktes ist auch für den Vertriebspartner mit Kosten verbunden. Der zu wählende Vertriebspartner sollte ein angemessenes Maß an Investitionsbereitschaft zeigen.

Als eher neuartiger Trend setzt sich mehr und mehr die Digitalisierung des Vertriebs von Medizinprodukten durch. Wenngleich dieser Weg nicht für jedes Produkt geeignet scheint, sollte eine kluge Vertriebsstrategie auch den Omni-Channel Ansatz beleuchten. Staatliche Förderungen, themenspezifische Online-Foren und erhöhte Markensichtbarkeit können hier unterstützend wirken.


Hier finden Sie frühere Kolumnen des Autors:

MEDTECH-BUSINESS Teil 1: Großbaustelle MDR – Klinische Studien strategisch planen | erschienen am 16. Juni 2021)

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Hintergrund zu BENION: 

BENION ist eine internationale Unternehmensberatung, die auf Medizinprodukte spezialisiert ist. Wir bieten Herstellern und Vertriebsorganisationen eine qualifizierte Begleitung in sämtlichen Phasen des Produktlebenszyklus – von der Produktentwicklung über Regulatory und Clinical Affairs bis hin zu Marketing und Markteintrittsstrategie, Vertrieb und Erstattung. Unser Standort in Deutschland greift auf ein internationales Netzwerk in Europa, Nord- und Südamerika sowie Asien zurück und bietet Ihnen punktgenaue, Ihren Erfordernissen angepasste Begleitung.

www.benion.com

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