
Interview: Die Schatzkiste ist geöffnet
|transkript sprach mit Prof. Hartmut Juhl und Dr. Matthias Evers über die Neuaufstellung der Hamburger Indivumed. Vom Angebot einer Krebs-Gewebebank als Dienstleistung für Dritte aus der Pharmawelt hat sich Indivumed nun gehäutet und holt selbst die Rohdiamanten aus diesem Schatzkästchen an Patientendaten. Auch personell hat man sich ergänzt.
Die Hamburger Indivumed hat sich als Unternehmen neu aufgestellt und mit einem Personalwechsel deutlich gemacht: hier beginnt eine neue Geschichte, bei der eigene Wirkstoffe gegen neue Zielmoleküle von Krebserkrankungen im Vordergrund stehen.
transkript. Herr Prof. Juhl, wir haben schon einige Male über die Indivumed-Gewebebank und deren Bedeutung für die Erforschung der molekularen Grundlagen von Krebserkrankungen gesprochen. Nun machen Sie quasi einen Neustart und ergänzen sich mit Matthias Evers, der Erfahrungen von McKinsey und Evotec mitbringt. Wohin soll diese neue Reise gehen?
Hartmut Juhl. Ein Neustart ja, aber es ist nicht komplett alles neu, sondern eine logische Weiterentwicklung. Für uns war die Entscheidung von Matthias Evers zu uns zu kommen, perfekt, da wir zum jetzigen Zeitpunkt der Unterneh- mensgeschichte jemanden brauchen, der ein Verständnis hat für kollaborative Partnerschaften, der die Beziehungen zu diversen Pharma firmen, aber auch das wissenschaftliche Verständnis hat.
transkript. Herr Evers, Sie könnte man in viele Schubladen stecken: McKinsey-Beratung, Evotec, Systemintegration bei der Just-Evotec Biologics, alles immer sehr digital. Sind Sie der Mann für die Daten oder der für die Partnerschaften?
Matthias Evers. Ich wollte auf meinen Stationen immer etwas lernen und dabei nimmt man immer etwas mit, was man gut gebrauchen kann für den nächsten Schritt. Bei McKinsey geht es um Problemlösung, aber die Arbeit dort hat mir auch die Möglichkeit gegeben, ein extrem großes Netzwerk aufzubauen, unterschiedliche Perspektiven zu verstehen und wie auf komplexe Sachverhalte eingegangen wird. Bei Evotec war ich zuletzt sicherlich sehr stark ein sogenannter Integrated Operator. Zu Indivumed bringe ich eine Mischung aus allem mit. Hier wollen wir gemeinsam die geschäftliche Weiterentwicklung des Unternehmens vorantreiben.
transkript. Was hat Sie konkret zu diesem Wechsel zu Indivumed bewogen?
Evers. Was mich seit Jahren antreibt, sind Plattformen, die ein daten getriebenes und wissensbasiertes Krankheitsverständnis ermöglichen. Deshalb bin ich damals zu Evotec gegangen. Wenn Sie das Thema Krankheitsver- ständnis nehmen und dann sehen, welche Grundlagen Indivumed bei Krebs geschaffen hat, dann haben wir hier ein regelrechtes Paradebeispiel. Es gibt da diese Publikation, in der die hohe Bedeutung des standardisierten und schnellen Einfrierens von Gewebeproben untersucht und die Wichtigkeit einer kurzen Ischämiezeit als grundlegend bewiesen wird. Nur unter diesen Voraussetzungen hat Forschung eine Chance, relevante, qualitativ hochverlässliche – Stichwort: KI – humane Daten zu generieren, wenn man an solche Gewebeproben herankommen kann. Die Krankheit Krebs ist nun selbst noch so breitgefächert, dass ich eher einen roten Faden in meinem Lebenslauf erkenne, ohne behaupten zu wollen, es war alles von langer Hand geplant. Das Spannende an meinem neuen Job in der kommerziellen Geschäftsentwicklung sind nun die beiden Bereiche, die das umfasst: eine eigene Pipeline und die Entwicklung neuer Kooperationen.
transkript. Herr Juhl, wie fühlt sich diese neue Indivumed für Sie an?
Juhl. Als eine konsequente Weiterentwicklung. Nun kreieren wir nicht nur Daten, sondern wir nutzen diese auch. In den Anfängen waren das „Rohdaten“ in Form von Gewebe, dann wurden es Computerdaten in Form von Multiomics-Daten. Jetzt kommt der nächste Schritt: Wir nutzen unsere Daten und entwickeln neue Wirkstoffe – entweder wirklich eigenständig oder in Partnerschaft mit Pharmafirmen, basierend auf unserer Datenressource. Seit anderthalb Jahren läuft diese Transformation, und im vergangenen halben Jahr haben wir sie wirklich rasant beschleunigt. Wir haben alle Ressourcen intern aufgebaut, um den Wert aus den Daten zu ziehen: Da sind die Biomathematik und die Analytik, die Algorithmen, um das Multiomics-Profil zu verknüpfen mit Überlebensdaten und anderen klinischen Daten. Die Laborkapazität ist gewachsen, um Targets zu validieren und biologisch zu belegen. Hier kommt noch eine weitere ganz wichtige Komponente hinzu: Wir sammeln nicht nur weiterhin Gewebeproben, sondern wir übertragen diese Gewebeproben in organoide Ge- webekulturen und Primärzellkulturen und haben damit eine sehr kliniknahe Validierungsressource.
transkript. Sie machen also nun alles im eigenen Haus und nichts mehr mit externen Laborpartnern?
Juhl. Das stimmt nicht ganz. Mit der Schweizer Biognosys sind wir unverändert verbunden für die Proteomikanalysen. Das ist einfach eine sehr gute Highthroughput-Plattform. Das intern aufzubauen, wäre wahrscheinlich unsinnig, ebenso wie eine Sequenzier-Highthroughput-Facility, das gibt es extern besser. Mit zu vielen Dienstleistern verliert man allerdings die Geschwindigkeit und Kontrolle. Insofern haben wir, was wir intern am besten können weiter ausgebaut – mit der wissenschaftlichen Analytik, dem Krankheitsverständnis, der Interpretation, der Identifikation und auch der Validierung in den eigenen Laboren.
Evers. Die Datengenerierung aus den genannten Bereichen findet extern statt, die Interpretation, das Testen der Hypothesen, Targetidentifizierung und -validierung und damit das Krankheitsverständnis zu den klinischen Daten und Phänotypen der gewebespendenden Patienten auch über die Organoid-Modelle – das sind die differenzierenden Fähigkeiten einer Indivumed. Die Laborfähigkeiten des sehr internationalen und diversen Teams sind mit ein Grund, warum ich hier und jeden Tag gern hier bin.
transkript. Wie lösen Sie damit nun die großen Schwierigkeiten bei der Entwicklung von Medikamenten gegen viele Formen von Krebs? Es gibt zwar weltweit eine riesige Pipeline in den Firmen, aber die Fortschritte sind oft nur für kleine Patientengruppen spürbar oder oft nur sehr inkrementell.
Evers. Das Problem ist, dass es oft keine vernünftigen Modelle gibt, um die Patienten zu verstehen, in denen Resistenzen aufkommen oder in denen die existierenden Medikamente überhaupt nicht wirken. Erst allmählich folgen immer mehr Experten dem Niederländer Hans Clevers, der für Roche ein ganzes Forschungsinstitut für Organoid-Modelle aufgebaut hat. Warum? Weil man nur in diesen Organoid-Modellen patienten-relevante Modelle hat, in denen man sowohl Wirksamkeit als auch Sicherheit eines Wirkstoffes testen kann. Dazu brauche ich primäres Patientengewebe und die Fähigkeit, diese Modelle zu bauen. Diese Fähigkeiten hat Indivumed und das skalieren wir jetzt. Damit zeigen wir, wie eine moderne Krebsforschung aussehen kann, ja, aussehen muss.
transkript. Aber die eigene Wirkstoffentwicklung ist nun der neue Schritt?
Evers. Die klare Weiterentwicklung ist der Schritt vom Gewebe zum Zielmolekül. Das hat Indivumed bisher nicht fokussiert. Es wurde in Dienstleistungskooperationen geforscht und Daten generiert, diverse Analysen gemacht, die Gewebekompetenz eingesetzt. Erst vor wenigen Monaten hat sich daraus unsere eigene Pipeline entwickeln können. Das Ergebnis von einigen neuen Zielstrukturen und Ansätzen beim Darmkrebs stammt nur aus diesen wenigen Monaten, in denen wir dem neuen Geschäftsmodell folgen. Damit geben wir ein Statement ab. Wir sehen ja die Effektivität der neuen bi-spezifischen Antikörper, multi-spezifische, die ADCs und viele neue Abwandlungen und viele Ansätze im Markt. Alles auf gängige oder auch mal etwas neuere Zielmoleküle abzielend. Zielmoleküle, mit denen ich noch gezielter in den Tumor komme, sind da immer interessant, auch, um sich zu differenzieren. Und das kann man dann mit existierenden Therapieentwicklungen oder -optionen kombinieren und erhält neue, kombinierte und synergistische Wirksamkeiten.
transkript. Stichwort finanzielle Möglichkeiten: Müssen Sie sich sehr beschränken?
Juhl. Unser Startpunkt ist die Datenbank, der Zugang zu Kliniken bleibt konstant, was uns erstmal von allen anderen abhebt. Und mit diesem Zugang – was jetzt Tumorentitäten angeht – können wir in diverse Richtungen gehen. Wenn unsere neue Pipline nun mit Colonkarzinom startet, ist das auch schon eine breite Entität und keine Einschränkung. Denn wir können darüber hinaus bei Interesse auch ganz andere Tumore oder mal einen Nischentumor angehen.
transkript. Da kommt dann Herr Evers als Partnervermittler ins Spiel?
Evers. Partnervermittlung schon, es muss ja nicht gleich eine Heirat werden. Wir nennen das ‚Co-Creation‘, weil wir sehr stark an Kollaborationen auf Augenhöhe glauben, um erfolgreich neue Therapeutika zu erzeugen. So eine Zusammenarbeit kann bei Null starten. Jemand möchte eine Pipeline in einem ganz bestimmten Patientensegment neu aufbauen. Bei so einer Entwicklungskollaboration kommen die finanziellen Mittel vom Partner. Das andere sind unsere eigenen frühen Assets. Dort erreichen wir das maximale Potential dieser Assets dadurch, dass ein Pharmapartner interessiert ist. Unsere Pipeline ist jung und sehr dynamisch, da kommen in kurzer Zeit viele weitere Assets hinzu. Natürlich dauert die gesamte Entwicklung, aber ich glaube, all diese Arten von Partnerschaften brauchen auch viel Zeit. Ich finde es sehr spannend, das mitentwickeln zu können.
transkript. Die Zeiten für solche Partnerschaften könnten besser sein, oder?
Evers. Wir müssen uns ja nichts vormachen. Der Biotech-Markt ist in einer extrem schwierigen Phase. Man braucht Pharma, und was da nicht auf das strategische Tableau passt, ist im Moment sehr schwer an den Mann zu bringen. Auf der anderen Seite hat Pharma immer Augen und Ohren offen. Sobald es eine differenzierende Effektivität gibt in der relevanten Patientenpopulation, öffnen sich Türen. Wir werden unsere Sichtbarkeit erhöhen müssen, aber wir werden auch die direkten Beziehungen und Kontakte intensiv nutzen und auf neue Situationen reagieren. Auch Pharmamanager sind Menschen mit Eigenheiten und Vorlieben, sie wechseln den Job oder ihr bisheriges Steckenpferd hat leider nicht funktioniert. Es gehört ein bisschen Glück dazu, am Ende mit dem eigenen Angebot in die passende Situation zu treffen, aber das ist eben auch die Magie, wenn es dann Klick macht.
transkript. Thema Künstliche Intelligenz – für Sie nur eine Welle oder schon absolute Selbstverständlichkeit in Ihren Laboren?
Evers. Die ganze Branche ist dabei, Drug Discovery fundamental anders anzugehen. KI wird eine zentrale Rolle spielen. Das ist keine Welle, das bleibt und wird eher größer. Es mag noch zehn Jahre dauern. Aber was man für KI unbedingt braucht, das sind die hochqualitativen Daten im Gewebe-Kontext. Wir sind prädestiniert für diese Zukunft der Drug Discovery, weil wir die Basis haben, wenn auch noch nicht alles in Richtung KI, doch das haben die wenigsten.
Juhl. Wir integrieren KI-Werkzeuge als eine Selbstverständlichkeit, so ist mein Verständnis der Rolle von Künstlicher Intelligenz. Die Basis aber sind die Datensätze. Und die entscheidenden, die uns schon stark differenzieren, die haben wir: das sind die Proteine und vor allen Dingen die Phosphoproteine, die in der Form in keiner Datenbank sonst existieren.
transkript. Noch einmal nachgehakt: Wie sehen Sie sich finanziell ausgestattet?
Juhl. Wir haben durch den Verkauf des Servicegeschäftes unsere Finanzierung für mehrere Jahre gesichert und erwarten durch die sich entwicklenden Pharmapartnerschaften schon bald die Profitabilität zu erreichen. Dabei ist neben Qualität und Innovartion, Effizienz von höchter Bedeutung, auch weil sie uns von den Pharmafirmen unterscheidet. Ich halte das Schnellboot unverändert für die bessere Variante. Geschwindigkeit ist im Moment in dieser Biotech-Welt das A und O.
transkript. Und die neue Indivumed ist dieses „Schnellboot“?
Juhl. Ja, im Kern ist das nun ein anderer Mindset, das ist die wichtige Veränderung. 2023, mit gut 250 Mitarbeitern, haben wir den ganzen Servicebereich und damit die ganze Service-Mentalität abgegeben. Das ist nichts Schlechtes, nur etwas anderes, als ein Fokus auf die wissenschaftliche und kommerzielle Eigenentwicklung. Aktuell sind wir schon wieder auf rund 80 angewachsen. Entstanden ist dieser Kern bereits 2018, als wir uns gesagt haben, wir bauen eine zweite Geschäftseinheit auf. Dort wurde die Datenbank entwickelt mit dem Ziel, nach neuen therapeutischen Möglichkeiten zu suchen, zunächst In Silico.
transkript. Was bedeuten die aktuellen Veränderungen für Sie persönlich?
Juhl. Unser Rhythmus ist nun der von langfristigen Entwicklungszyklen. Für mich persönlich ist es ein weiterer Schritt in Richtung der ursprünglichen Vision von Indivumed: Therapeutika schneller, effektiver und zielgerichtet zu entwickeln, um Patienten eine personalisierte Therapie zu ermöglichen. Dafür tun wir das hier alles. Wir sind zwar noch nicht angekommen, aber dem großen Ziel so nahe wie nie zuvor.
Das Gespräch führte Redaktionsleiter Dr. Georg Kääb im Mai 2025, entnommen aus |transkript 2-2025