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Abwasser: Vor der nächsten Infektionswelle

Das Abwassermonitoring der Viruslast ist – nach zähem Beginn – nun Untersuchungsgegenstand in einem deutschlandweiten Verbundvorhaben des Bundesgesundheitsministeriums. Experten fordern schon jetzt die Fortführung über die Förderphase hinaus, die zum Jahresende auslaufen soll.

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Es hat eine ganze Weile gedauert, bis sich die Erkenntnis auch im Robert-Koch-Institut verfestigte, dass durch ein Abwassermonitoring ein epidemiologisches Monitoring des Infektionsgeschehens möglich ist. Im ersten Jahr der COVID-19-Pandemie waren es zu Beginn nur einzelne Pilotprojekte der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e.V. (DWA), die untersuchen sollten, wie sich aus dem Nachweis der Viruslast in Abwässern etwas über den Gesundheitszustand der Population oberhalb der jeweiligen Kläranlage aussagen lassen kann. Die Ausscheidung – ein wenig beachtetes und eher tabuisiertes Thema – wurde erst später Gegenstand auch mit Bundesmitteln oder europäischen Geldern finanzierter Forschungsvorhaben. In „Coromoni“, dem Verbund weniger solcher Pilotprojekte wurde auch der Datenaustausch verschiedener Mess- und Erhebungsstellen erprobt.

Ebenfalls früh in der Pandemie machten sich einzelne Privatunternehmen auf herauszufinden, ob und wie aus der Abwasseranalyse Rückschlüsse über den Verlauf des Infektionsgeschehens gezogen werden könnten, um entsprechende Maßnahmen vorzubereiten. Das Abwasser verrät nämlich nicht erst etwas über den „Ausscheider“, wenn dieser bereits womöglich schwer erkrankt ist und diese Information für Gegenmaßnahmen zu spät käme, sondern mit einem Vorlauf. Dr. Jiri Snaidr, CEO und Gründer der Ende der 90er Jahre gegründeten Firma vermicon AG, die sich auf mikrobielle Analysen fokussiert, schätzt, dass die repräsentative Kontrolle der Abwässer Hinweise auf das Infektionsgeschehen gibt, das sich in etwa 14 Tagen einstellen wird. „Dies liegt an der Vorlaufzeit bis zur Symptomausbildung und ebenso den symptomlosen Ausscheidern“, so Snaidr im Gespräch mit |transkript.de. Mit zwei Wochen Vorsprung könne damit aus dem Abwassermonitoring eine Abschätzung zum kommenden Infektionsgeschehen geliefert werden, die Gesundheitsämtern und anderen Einrichtungen der öffentlichen Gesundheit wichtige Hinweise geben könn(t)e, natürlich nicht nur auf SARS-CoV-2 beschränkt.

Mit einiger Verzögerung haben auch Gesundheitspolitiker und  das RKI den Wert des Abwassermonitorings schätzen gelernt. Im Frühjahr 2023 rief schließlich das Bundesministerium für Gesundheit (BMG)  in Kooperation mit dem Robert-Koch-Institut und dem Umweltbundesamt (UBA) das Projekt AMELAG aus, das seit April 2023 bis voraussichtlich Dezember 2024 laufen soll und mit rund 30 Mio. Euro ausgestattet ist. Die Abkürzung steht für „Abwasser-Monitoring für die epidemiologische  Lageüberwachung“. Ziel des Projekts ist es, die Viruslast im Abwasser unabhängig von individuellen Personentestungen oder Meldungen an die Gesundheitsbehörden zu überwachen. Dabei werden nicht nur SARS-CoV-2-Viren analysiert. Es wird auch die Möglichkeit der Überwachung anderer Krankheitserreger  geprüft wie Influenza, Polioviren, RSV, gesundheitsrelevante Bakterien, Viren, Pilze und Antibiotikaresistenzen. Innerhalb des Gesamtprojektes werden seit Anfang Oktober wöchentlich Proben aus bis zu 175 Kläranlagen in ganz Deutschland auf das Vorhandensein von SARS-CoV-2 untersucht.

Die vermicon AG, ein Pionier auf dem Gebiet der Abwassermikrobiologie, hat speziell für die Analyse von Viren in Abwasserproben optimierte qPCR-Testkits entwickelt und auf eigene Rechnung solche Tests auch für Sars-CoV2. Diese wurden in der Vergangenheit mit Unterstützung der HPC AG bei mehreren Kläranlagen angewandt, validiert und anschließend kommerziell eingesetzt. Für die Mitwirkung bei AMELAG holte sich vermicon die HTS Labs Frankfurt GmbH als Kooperationspartner ins Boot. Dieser Experte für Hochdurchsatzanalytik aus dem Humanlaborbereich integrierte seit Ende des vergangenen Jahres die Testkits für das SARS-CoV-2-Abwassermonitoring in die eigenen auf digitalen Datenaustausch und effiziente Logistikketten getrimmten Laborabläufe. Die Kooperation verbindet nun Hochdurchsatzkapazitäten mit höchster mikrobieller Expertise.

Für Jiri Snaidr stellt eine abwasserbasierte Epidemiologie nicht nur ein kostengünstiges und personenunabhängiges Monitoring von Infektionskrankheiten dar. Es erlaubt auch ein zuverlässiges gesamtheitliches Gesundheitsmanagement im Unter-/Hintergrund unter Einbeziehen des Kanalsystems, was aufgrund der über 30 Standorte der HPC AG möglich ist. Die Kooperation mit der vermicon AG ermöglicht laut Dr. Michael Bonin, CEO von HTS Labs Frankfurt, „eine leistungsstarke Analytik. Darüber hinaus legen wir großen Wert auf digitale Lösungen“. Dies könne sein Labor in den medizinischen Routineanalysen tagtäglich, aber während der hohen Belastung durch die Corona-Tests auch bei besonderen Herausforderungen, sehr effektiv meistern, „ohne zusätzliche Infrastruktur aufbauen zu müssen“, hebt Bonin hervor.

Beide Unternehmen mahnen, dass Deutschland den Rückstand beim Abwassermonitoring zu anderen europäischen Nachbarländern, aber auch zu den USA oder etwa Singapur dringend verringern müsse. Derzeit kranke das Monitoring noch an sehr unterschiedlichen Zuständigkeiten in den Ländern, wo teilweise die Bundeswehr für die Sammlung der Abwasserdaten eingespannt werde. In anderen Bundesländern ist es das Umwelt- oder das Gesundheitsamt mit unterschiedlichen Verbindungen zu den entsprechenden Ministerien und damit auch unterschiedlich gut verzahnt mit der „Landes-Gesundheitspolitik“ als solcher.

„Die Klärwerker selbst sind hochinteressiert an der Abwasseranalyse, und sie nutzen das schon für die Kontrolle der Leistungsfähigkeit ihrer Kläranlage mittels unserer VIT Gensondentechnologie“, sagt Snaidr. Mit der zusätzlich auf den vermicon-qPCR-Kits basierenden gesundheitlich relevanten Erhebung zur Viruslast werde auch der Stellenwert des Klärwerkes angehoben, das sich zu einem Datenzentrum in der Prävention und der „Pandemie-Prepardness“ entwickeln könnte. „In den USA werden Messwerte aus über 1.000 Klärwerken erhoben und digital in einer Übersicht dargestellt, da muss Deutschland, da muss Europa hinkommen“, ergänzt Bonin.

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