Politik auf Pharma- und Biotech-Tour
Bundeskanzler Olaf Scholz zeigte als erster, welche Bedeutung er der Pharmaindustrie in seiner Standortpolitik beimisst, und besuchte Spatenstich-Veranstaltungen in Alzey (Eli Lilly) und Darmstadt (Merck KGaA). Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck folgt mit einer ganzen Rundreise zum Thema. Er startete wiederum bei der Merck in Darmstadt mit weiteren Stationen in Hessen, in Sachsen-Anhalt und Niedersachsen, wo er in Göttingen in das Gründerökosystem der Life Science Factory eintauchte.
Angelehnt an den Ausspruch von Franz Beckenbauer, ob denn schon Weihnachten sei, kann man sich derzeit fragen: ist denn schon wieder Wahlkampf? Oder ist gerade eine Pausenzeit, in der die hohe Politik genug Zeit findet, sich in diversen Rundreisen unter das Volk zu mischen oder in diverse Unternehmenslandschaften einzutauchen?
Vielleicht sind auch die Häufungen von Spatenstichen, Richtfesten, Einweihungen und Bauplanungen nur die Spitze des Eisberges, und in der ganzen Republik sind längst die Ärmel hochgekrempelt und ein neues Wirtschaftswunder, das historische Ausmaße annehmen könnte, wird gerade von der Ampelregierung angeschoben. Ist es daher höchste Zeit, dass diese Politiker sich im Lande entsprechend feiern lassen? Ganz ohne Ironie: Es tut sich tatsächlich viel im Land.
Vielfältige Bauplanungen, ein regelrechter Wettbewerb um den schönsten und coolsten Inkubator auf der grünen Wiese oder mitten in den urbanen Latte-Macchiato-Quartieren der Zukunft treibt bunte Blüten auf Hochglanzbroschüren. Ob sich alles davon realisieren wird oder ob sich die gewünschten Mieter aus der Biotechnologie finden werden, das bleiben im Augenblick die Fragen. Doch ganz neue Akteure treten auf den Plan, ganz neues Geld mischt im Spiel der Immobilienentwickler mit. Doch etwas realer als die Benko-Blase der Spitzenimmobilien ist das Geschäft mit der Laborwelt schon, sogar sehr viel realer und es kann auch hochseriös betrieben werden, wie einige langzeitaktive Projektentwickler zeigen. Doch dazu in einem anderen Artikel über einige spannende Standorte von der Flughafengemeinde Halbergmoos über mittlere und große Städte in der ganzen Republik zu einem späteren Zeitpunkt.
Die Politik hat sich auf ihren aktuellen Reisen eher die größeren Unternehmen wie Merck, Eli Lilly oder B.Braun ausgesucht, aber zumindest mit der Visite in der Göttinger Life Science Factory auch einen Blick auf die wichtige Infrastruktur eines modernen Gründerzentrums geworfen. Für die nächste Generation hat das Bundeswirtschaftsministerium gerade einen Förderwettbewerb laufen für weitere „Start-up Factories“. In Göttingen konnte Robert Habeck dabei die Initiative von Sartorius, Ottobock, Evotec und anderen bewundern, die ohne allzu viel öffentliches Geld bereits seit fünf Jahren aktiv sind und in luftigen, modernen Laboren die Zusammenarbeit auch in der Hightech-Branche Life Sciences/Biotechnologie ermöglichen und unterstützen.
Robert Habeck zeigte sich beeindruckt von der Innovationskraft und dem Engagement der Göttinger Start-ups: „Die Life Science Factory in Göttingen zeigt beispielhaft, wie es uns gelingen kann, in ganz Deutschland innovative Leuchttürme der Vernetzung von Wirtschaft, Wissenschaft und Startups zu bauen. Ich habe bei meinem Besuch in Göttingen viele Eindrücke mitgenommen, die wir bei unserer Initiative EXIST Startup Factories einfließen lassen können.“ Das freute Sartorius-CEO Joachim Kreuzburg, der mit Marco Janezic die Life Science Factory nach US-amerikanischem Vorbild entwickelt hatte. Die Factory sei mehr als ein Gebäude und „bietet Zugang zu wichtigem Gründungs- und Wachstumskapital, eine flexible Labor- und Büroinfrastruktur sowie ein leistungsfähiges Netzwerk von Talenten, Experten und Gründern,“ so Kreuzburg. „Dass wir mit diesem Konzept Ende des Jahres nach München expandieren, zeigt, dass es am Wirtschaftsstandort Deutschland einen Bedarf für Orte gibt, an denen Ideen und Innovationen gefördert werden.“
Eine Rundreise der Politik zu den Innovations- und Gründerzentren der Republik oder auch zu den privatwirtschaftlich entwickelten Campus-Quartieren und Business-Parks wäre in einer nächsten Phase ebenfalls eine gute Idee – bei Zeiten und ohne Wahlkampfstress.