
CAR-T-Therapie im Patienten selbst herstellen
Carl June hat es wieder getan: Nach seiner Pionierleistung zur Entwicklung des ursprünglichen CAR-T-Konzepts (zusammen mit seinem Team und weiteren Wissenschaftlern) an der University of Pennsylvania vor gut einem Jahrzehnt ist er nun maßgeblich daran beteiligt, die Modifikation nicht ex-vivo, sondern direkt im Patienten stattfinden zu lassen. Sein Hilfswerkzeug sind zielgerichtete Lipidvektoren mit einer mRNA, die T-Zellen mit den gewünschten (besseren) Rezeptoren ausstatten. Ein aktuelles Science-Paper sorgt für Furore. Vielleicht ist er damit noch einen Schritt näher an den Nobelpreis gerückt.
Wissenschaftler der US-Biotech-Firma Capstan Therapeutics in San Diego und der University of Pennsylvania haben eine neue Methode entwickelt, mit der CAR-T-Zellen direkt im Körper gebildet werden können. Dabei nutzen sie zielgerichtete Lipid-Nanopartikel (tLNPs), die mRNA gezielt an T-Zellen liefern. Die Studie wurde unter dem Titel „In Vivo CAR T Cell Generation to Treat Cancer and Autoimmune Disease“ in Science veröffentlicht.
Bei der klassischen CAR-T-Zelltherapie werden die T-Zellen eines Patienten außerhalb des Körpers genetisch verändert, um dann einen sogenannten chimären Antigenrezeptor (CAR) zu tragen. Dieser Rezeptor wurde in seiner Passgenauigkeit auf bestimmte Tumorantigene optimiert, wodurch die modifizierten T-Zellen Krebszellen gezielter erkennen und zerstören. Die bearbeiteten Zellen werden dann im Labor vermehrt und dem Patienten zurückgegeben. Diese Therapie ist vor allem für Blutkrebserkrankungen wie Leukämie, B-Zell-Lymphome oder Myelome zugelassen, weil sie dort bemerkenswerte Erfolge zeigte. Derzeit gibt es in diesem Bereich der CAR-T sieben FDA-Zulassungen in den USA.
Auch bei bestimmten Autoimmunerkrankungen, bei denen körpereigene B-Zellen gesundes Gewebe angreifen (zum Beispiel Lupus, rheumatoide Arthritis oder Myasthenia gravis), wird CAR-T als vielversprechend betrachtet, wenn in diesem Fall der Rezeptor auf B-Zellen gerichtet ist und die gesamte Population dieser Zellgattung auslöscht, woraufhin sich in der Neubildung der B-Zellen nur mehr die „gesunden“ Varianten ausbilden. Da weltweit rund 10% der Bevölkerung unter Autoimmunerkrankungen leiden, wäre ein Ansatz sinnvoller, der sicher, skalierbar und ohne Zellmanipulation oder virale Vektoren auskommt – und der idealerweise ambulant verabreicht werden kann.
Die neue June-Methode
Das Forscherteam um den CAR-T-Spezialisten June und weitere Forscher entwickelte nun eine transiente Expressionsmethode, die direkt im Patienten startet. Dabei helfen zielgerichtete LNPs (targeted, tLNPs), die mRNA gezielt an T-Zellen im Körper liefern. Die T-Zellen nehmen die mRNA auf, stellen daraufhin das CAR her und können so krankheitsauslösende B-Zellen angreifen – ohne das Erbgut dauerhaft zu verändern, wie es bei DNA-basierten Methoden der Fall wäre. In Labortests mit Blutproben von gesunden Spendern und Patienten mit Autoimmunerkrankungen zeigten die erzeugten CAR-T-Zellen eine gezielte und effektive B-Zell-Eliminierung. In sogenannten humanisierten Mäusen, die menschliche Immunzellen tragen, führte bereits eine einzige tLNP-Dosis zu einem raschen B-Zell-Abbau innerhalb von 24 Stunden. Bei einem Leukämiemodell zeigte sich nach zwei Gaben sogar eine nahezu vollständige Tumorvernichtung nach nur drei Tagen.
Die B-Zell-Depletion ist nicht dauerhaft. Das Immunsystem wird durch „naive“, gesunde B-Zellen ersetzt – es erfolgt gewissermaßen ein „Reset“ des Immunsystems. Die Forscher sehen in ihrer neuen tLNP-Methode einen vielversprechenden Ansatz für sichere, zugängliche CAR-T-Therapien, insbesondere bei B-Zell-vermittelten Krebs- und Autoimmunerkrankungen – ohne aufwändige Zelltherapiezentren oder genetische Manipulationen ex vivo. Welche Bedeutung diese neue Methode einer zielgerichteten transienten mRNA-vermittelten Modifikation im Patienten noch in vielen anderen Indikationen erlangen könnte, ist nun das weite Feld weiterer Entwicklungen. Hier zum Nachlesen: “In Vivo CAR T Cell Generation to Treat Cancer and Autoimmune Disease,” aus Science.
Für die sich nach einer euphorischen Welle derzeit in einem Tal befindlichen vielfältigen Ansätze der Zelltherapie mit herkömmlicher CAR-T-Methode oder der Ex-vivo-Modifikation von Patientenzellen mit anderen Verfahren ist diese Nachricht eine Herausforderung. Wird sich die neue Methode so rasant ausbreiten und durchsetzen, dass die aktuell in Hunderten von klinischen Studien entwickelten Zelltherapie-Projekte „alt“ aussehen und auch von den Investoren links liegengelassen werden? Oder ist auch für diese Projekte, die bereits unterwegs sind, die neue, starke Aufmerksamkeit für das Feld ein Hoffnungsschimmer, der auch von diesen Unternehmen genutzt werden kann? Es hängt wohl davon ab, wie gut sich die tLNP-mRNA-Methode auf weitere Indikationen und in den Händen anderer Anwender im Praxistest beweisen wird.