Robert Hoffie

EU könnte Pflanzenzüchtung erleichtern

Noch ist das letzte Wort nicht gesprochen, die letzte Unterschrift auch der EU-Mitgliedsländer unter einer Neuregelung bezüglich der Züchtungsmethoden in der Pflanzenzucht und Landwirtschaft getrocknet. Doch es bahnt sich ein Paradigmenwechsel an mit dem, was Unterhändler nun zur Abstimmung vorlegen: die CRISPR/Cas-Technologie könnte als "allgemeine" Züchtungsmethode nicht mehr kennzeichnungspflichtig auf Endprodukten werden.

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Nach jahrelangen, teils erbitterten Debatten haben Unterhändler des Europaparlaments und der EU-Mitgliedstaaten eine Grundsatzeinigung zur Lockerung der Gentechnikregeln erzielt. Künftig sollen viele mittels neuer molekularbiologischer Verfahren – etwa CRISPR/Cas – veränderte Pflanzen und Lebensmittel nicht mehr als gentechnisch verändert gekennzeichnet werden müssen. Es wäre die größte Reform des EU-Gentechnikrechts seit mehr als zwei Jahrzehnten. Doch der Prozess ist noch nicht abgeschlossen: Das Parlament muss formal zustimmen, und anschließend müssen die Mitgliedstaaten die neuen Vorgaben in nationales Recht übertragen.

Die Reform ist das Ergebnis eines regulatorischen Marathons. Bereits 2021 hatte die EU-Kommission festgestellt, dass das geltende, aus den frühen 2000er-Jahren stammende Gentechnikrecht nicht mehr zu modernen „neuen genomischen Techniken“ (NGT) passe. Während Länder wie die USA, Argentinien oder Japan längst NGT-Produkte ohne spezielle Kennzeichnung zulassen, blieb die EU regulativ in der klassischen Gentechnik-Logik verhaftet. Das schürte Sorgen über Wettbewerbsnachteile für europäische Pflanzenzüchter und verstärkte Forderungen nach einer Modernisierung, rief aber auch die Gentechnikgegner auf den Plan.

Es folgten wissenschaftliche Konsultationen, Folgenabschätzungen und politische Hürden. 2024 stimmte der Umweltausschuss des EU-Parlaments erstmals grundsätzlich für eine Lockerung. Gleichzeitig positionierten sich Umweltverbände klar dagegen und warnten vor mangelnder Transparenz für Verbraucher sowie unzureichender Risikobewertung. Die Mitgliedstaaten waren gespalten, insbesondere bei Fragen zur Patentierung und langfristigen Überwachung. Erst im Laufe des Jahres 2025 näherten sich die Positionen an.

Der jetzt gefundene Kompromiss führt ein Zwei-Kategorien-Modell ein. Kategorie 1 umfasst Pflanzen mit „begrenzten genetischen Veränderungen“, etwa punktuelle Mutationen durch CRISPR/Cas, die auch durch konventionelle Züchtung hätten entstehen können. Für sie entfällt die Kennzeichnungspflicht im Handel; lediglich das Saatgut muss weiterhin markiert werden. Kategorie 2 betrifft Pflanzen mit größeren oder komplexeren Eingriffen, für sie bleiben die bisher strengen Gentechnikregeln bestehen.

Befürworter sehen in der Reform einen Innovationsschub. Sie verweisen auf neue Sorten, die widerstandsfähiger gegen Trockenheit oder Krankheiten sind und so einen Beitrag zur Ernährungssicherheit leisten könnten, besonders im Kontext des Klimawandels. Zudem argumentieren sie, die neuen Techniken verkürzten im Kern nur langwierige konventionelle Züchtungsprozesse. Die Wissenschaft war längst mehrheitlich auf diese Argumentation umgeschwenkt, etwa beim Öko-Progressiven Netzwerk e.V.  und WePlanet .

Kritiker befürchten hingegen eine „Entmündigung“ der Verbraucher, die im Supermarkt nicht mehr klar erkennen können, welche Produkte mithilfe moderner Gentechnik entstanden sind. Die politische Debatte dürfte mit der formalen Abstimmung im Parlament erneut aufflammen. Obwohl Beobachter davon ausgehen, dass die Zustimmung eher Formsache ist, bleibt die Umsetzung in den Mitgliedstaaten anspruchsvoll. Erst wenn nationale Behörden die neuen Regeln operationalisieren, wird sichtbar werden, wie stark die Lockerung den europäischen Lebensmittelmarkt tatsächlich verändert. Und daher bleibt man gut beraten, in die Berichterstattung noch manchen Konjunktiv oder einige Fragezeichen zu setzen.

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