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EU stellt Bioökonomie-Strategie vor – Fragen bleiben

Die EU-Kommission richtet ihre Bioökonomie-Strategie neu aus: Mit einem umfassenden Maßnahmenpaket will sie biobasierte Innovationen schneller in die Industrie bringen, neue Leitmärkte schaffen und Europas Wirtschaft unabhängiger von fossilen Ressourcen machen. Die Strategie soll Wachstum und Klimaschutz zusammenführen – und einen bereits milliardenschweren Sektor auf das nächste Niveau heben. Der finanzielle Rahmen bleibt nebulös.

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Die EU-Kommission hat einen überarbeiteten strategischen Rahmen für die europäische Bioökonomie präsentiert – ein Maßnahmenpaket, das Europas Wirtschaft widerstandsfähiger, klimafreundlicher und weniger abhängig von fossilen Importen machen soll. Im Mittelpunkt stehen der Ausbau biobasierter Industrien, die Nutzung erneuerbarer Ressourcen sowie der Aufbau neuer Leitmärkte für nachhaltige Technologien und Materialien.

Bioökonomie bereits ein wirtschaftliches Schwergewicht, aber mit ungenutztem Potential

Die Bioökonomie zählt heute schon zu den größten Wirtschaftsbereichen der EU: 2023 erwirtschafteten biobasierte Branchen – von Landwirtschaft über Forstwirtschaft und Aquakultur bis zur industriellen Biotechnologie – einen Wert von bis zu 2,7 Bio. Euro. Rund 17,1 Millionen Menschen arbeiten in diesem Sektor, jeder direkte Job schafft im Schnitt drei indirekte.

Trotz dieser Dynamik sieht die Kommission noch erhebliches Ausbaupotential, etwa bei biobasierten Chemikalien, neuen Kunststoffen, Textilfasern, Bauprodukten oder Düngemitteln. Viele dieser Technologien sind marktreif, aber noch nicht im industriellen Maßstab etabliert. Zentrales Ziel der neuen Strategie ist es, die Lücke zwischen Forschung und industrieller Anwendung zu schließen. Dafür kündigt die Kommission ein vereinfachtes regulatorisches Umfeld, schnellere Genehmigungen für innovative Verfahren und eine gezielte Ausrichtung bestehender Förderprogramme auf biobasierte Technologien an.

Um privates Kapital stärker zu mobilisieren, soll eine neue „Gruppe für Bioökonomie-Investitionen“ geschaffen werden, die bankfähige Projekte bündelt und Investitionsrisiken verteilt.

Neue Leitmärkte: von biobasierten Kunststoffen bis Bioraffinerien

Die Kommission identifiziert eine Reihe von Innovationsfeldern mit besonders großen industriellen Chancen. Dazu gehören:

  • biobasierte Kunststoffe und Fasern

  • nachhaltige Chemikalien

  • neuartige Pflanzenschutz- und Düngemittel

  • Baumaterialien aus Biomasse

  • Bioraffinerien und fortgeschrittene Fermentationsverfahren

  • Technologien zur dauerhaften Speicherung von biogenem Kohlenstoff

Um diese Märkte anzuschieben, sollen konkrete Nachfrageziele in EU-Gesetzen verankert werden. Zudem ist die Gründung einer „Allianz für ein biobasiertes Europa“ vorgesehen: Unternehmen sollen sich verpflichten, „bis 2030 gemeinsame Beschaffungen im Wert von 10 Mrd. Euro für biobasierte Lösungen zu tätigen“, heißt es in der Verlautbarung der Europäischen Kommission.

Nachhaltige Biomasse: Nutzung steigern, Ökosysteme schützen

Obwohl Europa bei Biomasse weitgehend autark ist, betont die Kommission, dass die Ressourcen nur innerhalb ökologischer Grenzen genutzt werden dürfen. Die nachhaltige Bewirtschaftung von Böden, Wäldern und Wasser, der Ausbau der Kreislaufwirtschaft sowie der höhere Einsatz von landwirtschaftlichen Reststoffen und organischen Abfällen spielen dabei eine zentrale Rolle. Neue Programme sollen Land- und Forstwirte finanziell belohnen, wenn sie Kohlenstoff binden, Böden schützen oder nachhaltige Biomasse bereitstellen. Der beständige Fokus auf Agrar und Forst in der europäischen Bioökonomie ist ein Spezifikum und wir von Beobachtern auch kritisch gesehen. Es gehe nicht immer nur um biobasierte neue Produkte aus Rest/Abfall-Strömen, sondern auch um eine neue industrielle Wirklichkeit, in der Mikroorganismen und Synthetische Biologie eine größere Rolle zugewiesen bekommen, so lautet es etwa in der eigenständigen Strategie aus Großbritannien.

Globale Stellung Europas stärken

Aufgrund einer starken Forschungslandschaft sieht die EU in der Bioökonomie eine strategische Chance, global eine Führungsrolle einzunehmen. Die Kommission kündigt an, neue internationale Partnerschaften aufzubauen, um europäische Unternehmen beim Zugang zu globalen Märkten zu unterstützen und gleichzeitig geopolitische Abhängigkeiten zu reduzieren. Innerhalb Europas haben einige Länder eine gute Position im globalen Wettbewerb der Kreislaufwirtschaft erreicht (Deutschland, die Niederlande, Finnland, Frankreich …), doch gleichzeitig spürt man eine gewisse Zurückhaltung in der Industrie, weiter mit Volldampf auf klimaschützende Technologien und Produkte zu setzen. Ein starkes Signal aus Europa ist daher gleichzeitig nach innen und nach außen gerichtet.

Der neue Rahmen baut auf der Bioökonomie-Strategie von 2012 und früheren Evaluierungen auf, setzt jedoch stärkere Schwerpunkte auf industrielle Umsetzung, Marktaufbau und wirtschaftliche Resilienz. Ziel ist es, die biotechnologische und biobasierte Transformation aus den Laboren in die breite europäische Wirtschaft zu bringen und damit Wachstum und Klimaschutz zu verbinden. Über den finanziellen Rahmen verlautete bisher wenig, eine Art Einkaufsverbund mit einem Milliardenbudget ist zuerst einmal nur eine Hoffnung. Der Fünf-Jahres-Plan Chinas sendet demgegenüber deutlichere Botschaften. Eine große Initiative zum Aufbau von Produktionsanlagen der biobasierten Industrie (über 40 Großanlagen heißt es) in Fernost könnte man durchaus als Kampfansage deuten.

Positiv kann man wohl festhalten, dass erstmals im Titel der Strategie nicht nur ein Zustand beschrieben, sondern ein konkretes Ziel formuliert wird – der Aufbau eines verbindlichen Frameworks. Die Analyse und Diagnose des Status quo sind überzeugend. Aber der Umsetzungsplan bleibt unklar. Ein Bericht in drei Jahren ist viel zu spät, sagen Branchenkenner. Die notwendigen Korrekturen an den relevanten EU-Direktiven müssten innerhalb von 6–8 Monaten erfolgen. Die 31 Maßnahmen sollten sehr zügig umgesetzt werden. In der zu erwartenden parlamentarischen Debatte brauche es schnelle Klärungen der Finanzierungsfragen – insbesondere zum Scale-up-Fund (mind. 1 Mrd. EU-Mittel, 2–3 Mrd. privat).

Was dem  Thema jedoch insgesamt aktuell fehle: eine größere Aufmerksamkeit. Die Strategie gehöre als die große europäische Wirtschaftsstrategie in große Medien und politische Schlüsselgremien – Tagesschau, Haushaltsausschuss, auf die Titelseiten von großen Publikumszeitungen und -zeitschriften. Wenn dies nicht passiere und kein Druck entstehe, könnte die Strategie auch bald in irgendwelchen Schubladen verschwinden.

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