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Globale Lage bei Biotech-Firmen macht Sorgen

Während man in den sogenannten sozialen Medien eine Menge fröhliche Postings von der großen US-Partneringveranstaltung BIO in Boston finden kann, sind Branchenbeobachter alles andere als euphorisch, was die Lage der Branche im laufenden Jahr und den kommenden Monaten angeht. Sowohl GlobalData als auch die Beratungsgesellschaft EY sehen starken Gegenwind.

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Auch die deutschen Vertreter der Biotech-Branche reihen sich ein in eine muntere Gruppe von Gewohnheitsoptimisten, die nahezu jede größere Konferenz als Gelegenheit betrachtet, mit nationalen und internationalen Freunden um die Häuser zu ziehen – natürlich erst, wenn der seriöse Teil des Konferenzprogramms absolviert und die maximale Zahl an Partneringgesprächen, die in einen Tagesablauf passen, absolviert worden sind. Davon zeugen zig Bilder der feucht-fröhlichen Partygemeinden an unterschiedlichen Stellen des US-Biotech-Zentrums der Ostküste, Boston, wo in diesen Tagen die BIO USA stattfindet.

Passend zum Branchentreffen haben diverse Beobachter ihre eigenen Erhebungen publiziert. Sowohl GlobalData also auch EY präsentieren dabei höchst ernüchternde Gesamteindrücke.

Biopharma-Innovation trifft auf Gegenwind – GlobalData mahnt zur Vorsicht

Die Biopharmaindustrie steht Mitte 2025 vor einer eher gemischten Prognose, meint etwa das Analyseunternehmen GlobalData: Während Innovationen an Tempo gewinnen, sorgen politische Unsicherheiten und wirtschaftliche Spannungen weltweit für gedämpften Optimismus. Laut dem aktuellen Bericht ist die Branchenstimmung im Vergleich zum Jahresbeginn um 16 Prozentpunkte gesunken.

Der Bericht „The State of the Biopharmaceutical Industry – 2025 (Mid-Year) Edition“ beschreibt eine Branche im Spannungsfeld zwischen Fortschritt und Unsicherheit. Insbesondere die US-amerikanische Gesundheitspolitik, etwa die Reformen zur Arzneimittelpreisregulierung im Rahmen der „Most Favored Nation“-Anordnung und der Inflation Reduction Act (IRA), sorgen für Unruhe. Hinzu kommen Risiken durch Zölle, Vergeltungsmaßnahmen anderer Länder sowie angespannte US-amerikanische-chinesische Handelsbeziehungen.

Hannah Hans, Leiterin der Pharma Strategic Intelligence bei GlobalData, erklärt: „Die Branche muss ihre Modelle – von der Produktion bis zur Marktzugangsstrategie – neu denken. Besonders im Kontext regulatorischer Veränderungen durch FDA und IRA.“ Laut der Befragung setzen 37% der Branchenvertreter auf verstärkte Partnerschaften, um die erwarteten Rückgänge bei der Biotech-Finanzierung in den nächsten zwölf Monaten abzufedern. Die zunehmende Bedeutung von Lizenz- und Kooperationsmodellen mit höheren Vorauszahlungen deutet auf eine veränderte Kapitalbeschaffung hin. Hans betont: „Zukunftsfähig ist, wer wissenschaftliche Innovation mit geopolitischem Fingerspitzengefühl und finanzieller Disziplin verbindet. Das Potential ist da – entscheidend ist, wie glaubwürdig es in marktreife Lösungen übersetzt wird.“ Basis der Analyse ist eine Umfrage unter 107 Biopharma-Kunden und -Interessenten von GlobalData, durchgeführt zwischen dem 16. April und dem 29. Mai 2025.

EY scheut die Voraussicht, sieht aber auch Chancen

Im passend zur BIO publizierten globalen Biotech-Report von EY (Beyond Borders) wird die Lage detaillierter analysiert, doch auch dort herrscht Unsicherheit vor: „Dies ist keine Zeit für kühne Prognosen – sie altern schlecht in diesen Zeiten“, heißt es im aktuellen Bericht von EY. Dennoch könnten mutige Unternehmen mit risikoarmen Assets von der Kapitalstärke großer Pharmakonzerne profitieren. Besonders nach dem Abklingen der aktuellen Unsicherheiten sei ein neuer M&A-Zyklus denkbar.

Bis dahin rät EY zur Konzentration auf das Wesentliche: Unternehmen ohne Umsatz sollten Ressourcen fokussieren, Kosten senken und ihre vielversprechendsten Wirkstoffkandidaten priorisieren. Firmen mit laufenden Einnahmen sollten zudem Lieferketten, Produktion und Personalstruktur auf politische Veränderungen hin überprüfen.

Das im EY-Report betrachtete Jahr 2024 brachte gemischte Ergebnisse: Zwar stiegen die Umsätze um 7% und die F&E-Ausgaben um 12%, doch die Beschäftigtenzahl sank um 5%, da Programme gekürzt und Kapital geschont wurde. Eine dramatisch klingende Nachricht senden die Berater über die Biotech-Unternehmen an den Börsen: Laut EY verfügten rund 40% der börsennotierten Biotech-Unternehmen nur noch über eine Kapitalreichweite von weniger als zwölf Monaten – ein deutliches Zeichen für das schwierige Finanzierungsumfeld.

Die Gesamtfinanzierung der Branche sank 2024 um 10% auf 73 Mrd. US-Dollar und ging im ersten Quartal 2025 nochmals um 17% zurück. Zwar stieg das investierte Kapital in Frühphasenfinanzierungen um 10%, doch die Zahl der Deals sank um 20% – Investoren setzen also zunehmend auf wenige, aber größere Wetten.

Ein Vergleich zeigt den Wandel:

  • 2019: 961 Finanzierungsrunden, Ø 21 Mio. US-Dollar

  • 2024: 644 Runden, Ø 36 Mio. US-Dollar

„VCs heben sich ihr Kapital für ihre besten Unternehmen und Produkte auf“, erklärt dazu Rich Ramko, Leiter des Life-Sciences-Sektors bei EY. Positiv bleibe: Die wissenschaftliche Qualität und technologische Substanz sei nach wie vor vorhanden – allerdings werde die Bewertung von Unternehmen im unsicheren wirtschaftlichen Umfeld zur großen Herausforderung für Investoren.

M&A und Allianzen: Pharma setzt auf Meilensteine

Strengere Kartellprüfungen der US-FTC unter Präsident Biden – fortgeführt unter der Trump-Regierung – haben mehrere Übernahmen ausgebremst, besonders mittelgroße Deals mit möglicher Preismacht. Auch hier zeigen sich im Vergleich zum Vorjahr deutliche Veränderungen:

  • 2024: 54 M&A-Deals im Wert von 77 Mrd. USD → Ø 1,4 Mrd. US-Dollar

  • 2023: 61 Deals für insgesamt 153,5 Mrd. USD → Ø 2,5 Mrd. US-Dollar

Stattdessen setzte die Branche vermehrt auf strategische Allianzen: 220 Abkommen mit einem kombinierten Wert von 144 Mrd. USD in „Bio-Dollars“ (also an bestimmte in der Zukunft liegende Meilensteine oder spätere Anteile an möglichen Erlösen geknüpfte Zahlungen) – der höchste Wert seit über zehn Jahren. EY betont dabei die Erkenntniss: „Diese Allianzen zeigen, dass Pharma den größten Wert auf klinische oder regulatorische Meilensteine legt. Das macht kleinere Biotechs stark abhängig – ein Rückschlag in der Entwicklung kann den Zugang zu Kapital abrupt beenden.“

Das ist für die Branche jedoch nichts Neues und überall hört man nur noch, dass man mit besonders guten Daten überzeugen müsse. Wie eine junge Firma die Finanzierung zur Generierung dieser Daten gewinnen kann, und ob nicht die Pharmaindustrie als größter Nutznießer solcher Innovationen auch entsprechend früher in die Unterstützung der Forschungsarbeiten einsteigen müsste, bleibt regelmäßig unbeantwortet.

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