Deutsche Biotechnologietage – zu viel Komfortzone?

In Wiesbaden trafen sich Ende März rund 700 Teilnehmer auf den traditionellen Deutschen Biotechnologietagen, die von der BIO Deutschland, gemeinsam mit der Vereinigung der BioRegionen (Clusterorganisationen der Biotechnologie im AK BioRegio) jährlich an wechselnden Standorten veranstaltet werden. Der hessische Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir (Bündnis 90/Die Grünen) sieht das Rhein-Main-Gebiet als eine Modellregion mit räumlich hoher Konzentration an Wissenschaft und biowissenschaftlichen Anwendungen in der Industrie.

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Ob ein anderer grüner Minister in Hessen und später auch im Bund das heute auch so sieht, ist zwar nicht bekannt, doch war es eben jener Joschka Fischer, der mit der Verhinderung der biotechnologischen Insulinproduktion bei Hoechst mit dazu beigetragen hat, vom ersten Platz der Weltapotheke in dem neuen Feld der Biopharmazie über die folgenden Jahre immer mehr in Rückstand zu anderen Nationen zu geraten. Dass nur einen Steinwurf und eine Flussüberquerung weiter südlich das erfolgreichste deutsche Biotechnologieunternehmen diesen Rückstand mit seinem mRNA-Impfstoff in nur wenigen Monaten aufzuholen half, schrieb sich auch der heutige hessische Minister auf die eigene Fahne, denn immerhin hätten die Frankfurter Sanofi und vor allem das BioNTech-Produktionswerk in Marburg wesentlich zur Weltproduktion dieses Impfstoffes beigetragen.

Nun sind wir ja alle gefühlt irgendwie „Mainz“, und viele trugen für kurze Zeit etwas BioNTech in sich, doch eine gewisse Spannung bei den regional-lokalkolorierten Vereinnahmungsversuchen konnte man in Wiesbaden schon spüren. Manchmal sind es ja gerade die nächsten Nachbarn, die sich gerne übersehen, aus dem Wege gehen, wo sich aus Animositäten und Nickeligkeit auch größere Feindschaft entwickeln kann. So ist es alles andere als selbstverständlich, dass die Rhein-Main-Region quasi automatisch auch die linksrheinischen Gebiete umfasst. Eher andersherum stellt sich die Lage wohl aus der Perspektive der Standortentwickler in Mainz dar, die unter dem neuen Slogan „#Biomindz“ im Ausstellungsbereich auftrumpften und mit größeren Teilnehmerdelegationen ihren eigenen Fußabdruck auf der Veranstaltung der hessischen Nachbarn hinterlassen wollten.

Abseits der links- und rechtsrheinischen Kabbeleien über die Deutungs- und Standorthoheit der Biotechnologie in Deutschland – die auch an anderen benachbarten oder voneinander entfernten Innovationshubs gerne geführt werden sollen – bieten die Deutschen Biotechnologietage die Wohlfühlatmosphäre eines Branchentreffen, bei dem die Akteure den informellen und freundschaftlichen Austausch genießen. Dies gipfelt regelmäßig in der Abendveranstaltung, die die hessischen Kooperationspartner der Veranstaltung ins barocke Schloss Biebrich legten, wo die Teilnehmer mit Rheinblick und gutem Essen verwöhnt wurden und sich für die After-Work Extravaganzen stärkten.

Vielleicht liegt es nur im Auge des Betrachters, der beim Schlendern durch das schöne Wiesbaden an der als Sehenswürdigkeit vermerkten Thermalquelle vorbeikam, dass genau dieses Zischen und Brodeln und Dampfen auf den Biotechnologietagen irgendwie gefehlt hat. Es waren alle etwas zu sehr einer Meinung. Einige Themen wie Schwierigkeiten bei den Finanzierungen wurden mehr oder weniger komplett ausgeklammert, die grüne Gentechnik oder gar die elementare anstehende Entscheidung der EU zu einem neuen Gentechnikrecht in keiner einzigen Session oder auf einem Podium mit den Entscheidern oder den heftigsten Kontrahenten diskutiert.

Dass die Bioökonomie ein großes Thema ist, zeigte sich zwar schon gerade am zweiten Veranstaltungstag, doch als Allzweckwaffe wurde wieder einmal Christian Patermann aufgefahren. Experten für Innovationsforschung oder sogenannte social Entrepreneure waren zwar eingeblendet, ein paar der wichtigen Großunternehmen, die ganz dringend „biologisiert“ gehören, waren jedoch nicht dabei. So fehlte nicht nur die Sichtbarmachung des neudeutsch gerne formulierten „Spill-over“-Effekts, den sich die Biotechnologie als Querschnittstechnologie ja ständig selbst attestiert, sondern er wurde sogar nur in den Präsentationen einiger Start-ups am Rande angesprochen (denen alles Gute gewünscht sei!), die oft genau auf diese traditionelle Großindustrie als Partner für ihre eigene Innovation schielen – und irgendwie auch bauen müssen.

Es fehlte auch die Verzahnung mit wichtigen anderen Disziplinen, die eine industrielle Biologisierung schlussendlich umsetzen werden: beispielsweise die Ingenieure. Dies war umso bedauerlicher, da nur eine Messemauer getrennt zeitgleich die Pharmatechnica stattfand, nach eigener Beschreibung Europas bedeutendster Kongress der „Technik für die Pharmaproduktion“. Nur eine Handvoll Personen nutzten die Termin- und Ortsüberschneidung zum Besuch beider Veranstaltungen, und die Trennung des Biotechnologiebranchentreffs von den Akteuren und Unternehmen, die diese „ins Werk“ und in die gute pharmazeutische Praxis zu setzen und dabei umzusetzen haben, hinterlässt etwas Stirnrunzeln.

Auch bei den vielen anderen Anwendungen von Bioökonomie über die Pharmazie und Gesundheit hinaus wird es ohne die jeweiligen Ingenieure, Maschinenbauer und andere deutsche Kernkompetenzen nicht gehen. Um aus der eigenen Komfortzone herauszutreten, sollte die Interdisziplinarität, die Produktionsprozesstechnologie, die Automatisierung und weitere Expertise viel sichtbarer in die Veranstaltung hereingeholt werden, um damit auch die wirklich heißen Themen praxisnah diskutieren zu können und die scheinbaren wissenschaftlichen Lösungen im Reallabor unserer Gegenwart konkret auf den Prüfstand zu stellen. Dass die Biotechnologie noch immer mindestens so viel Dampf hat und sprudelnde Ideen produzieren kann wie eine Thermalquelle, können als nächstes die Berliner Ko-Organisatoren auf den Deutschen Biotechnologietagen vom 16. bis 17. April 2024 in der Hauptstadt deutlich(er) machen.

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