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Studienstandort D

Nach langem Ringen haben sich die Interessenvertreter der Studiensponsoren und klinischen Prüfzentren auf Mustervertragsklauseln geeinigt, die Erfindungen des Prüfärzteteams während klinischer Studien angemessen würdigen – ein Durchbruch für den Standort D?

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Die Causa: In einer Phase Ib-Studie wurde ein Medikament zur Vermeidung und Behandlung von septischem Schock in verschiedenen Dosen an ansonsten gesunde Patienten mit einer Lipopolysccharid-induzierten systemischen Entzündung verabreicht, um dessen Sicherheit zu prüfen. Die Placebo-Gruppe litt unter heftigen, grippeähnlichen Beschwerden. Überraschend hatte die mit dem Wirkstoff behandelte Gruppe dosisabhängig überhaupt keine Beschwerden, obwohl die Zytokinwerte erhöht blieben. Die Ärzte sprachen verwundert vom „Lazarus-Effekt“. Ihre Beobachtung bildete die Grundlage eines neuen Dosispatentes.

Unabhängig von der Häufigkeit ihres Auftretens sind Patente, die aus überraschenden Ergebnissen klinischer Studien entstehen, oft extrem wertvoll. Im Gegensatz zu Basispatenten, die schon vor oder in der präklinischen Phase angemeldet werden, laufen die erst in der jeweiligen klinischen Phase angemeldeten Patente bedeutend länger. Fällt zudem der Patentanspruch mit dem späteren regulatorischen Anspruch zusammen, sind diese Patente durch Generika kaum zu umgehen, selbst wenn es sich nur um ein Dosispatent handelt. Der Wert eines Patentes wird nicht dadurch bestimmt, ob es ein Stoffpatent, Verfahrenspatent oder Dosispatent ist. Entscheidend ist, inwieweit und wie lange das Patent Exklusivität vermitteln kann.

Zielkonflikte
Eine unerwartete Erfindung kann für Biotech- und Pharmaunternehmen indes zu einer Herausforderung werden, vor allem wenn sie von den Prüfärzten der mit der Studie betrauten Universitätsklinik gemacht wird. Für den Sponsor wäre es eine Katastrophe, wenn bei einer von ihm initiierten Studie Patente bei einem Dritten entstehen, die ihm möglicherweise die Freedom-to-Operate nehmen könnten. Daher möchte und muss sich der Sponsor die Rechte an den Ergebnissen vertraglich sichern, was aus Sicht der Universität aber die Frage aufwirft, was sie als Gegenleistung hierfür erhält. Unstrittig ist, dass die durch öffentliche Gelder finanzierten Universitätskliniken einen angemessenen Ausgleich für ihre Leistungen erhalten müssen. Dies ergibt sich schon aus den beihilferechtlichen Vorgaben und wäre anders auch der deutschen Öffentlichkeit schwerlich zu vermitteln. Aber was ist angemessen? Der Sponsor hat Interesse an weitestmöglicher Kostentransparenz – nicht zuletzt, um etwaige Rückstellungen kalkulieren zu können. Seine Idealvorstellung ist häufig eine (geringe) Abschlagszahlung – unabhängig vom Gegenstand der potentiellen Erfindung.

Ist aber eine (kleine) Abschlagszahlung den Universitätskliniken gegenüber angemessen, wenn die Markt-Exklusivität eines Blockbusters potentiell um viele Jahre verlängert wird und dem Sponsor dadurch Milliarden an Zusatzgewinnen beschert? Andererseits: Ist es angemessen, dem Sponsor zuzumuten, einen Vertrag abzuschließen, unter dem er unvorhersehbare finanzielle Verpflichtungen eingehen muss? Und wie lassen sich solche finanziellen Unwägbarkeiten in den Bilanzen abbilden?

Schlusslicht Deutschland
Dieser vermeintliche Zielkonflikt wurde in der Vergangenheit als ein wichtiger Faktor für die Verzögerungen von Vertragsabschlüssen für klinische Studien ausgemacht. Eine Umfrage unter den Mitgliedern von vfa und der Deutschen Hochschulmedizin im Herbst 2023 ergab für Verhandlungen zu klinischen Studien eine mittlere Dauer von vier bis fünf Monaten bis Vertragsabschluss, im Extremfall bis zu einem Jahr. Derart langwierige Vertragsverhandlungen verzögern nicht nur zum Schaden der Patienten den Markteintritt potentiell lebensrettender Medikamente. Sie verringern auch den Wert des Entwicklungskandidaten, der sich nach dem „return-on-investment“ zwischen dem Markteintritt des Medikamentes und Ablaufdatum des die Exklusivität vermittelnden Patents bemisst. Daher ist ein verschenktes Jahr für Vertragsverhandlungen ein „NoGo“ für Investoren und ein gravierender Nachteil für den Forschungsstandort. Deutschland benötigt verglichen mit anderen europäischen Ländern zwei bis zehnmal länger für die Vertragsverhandlungen. Länder wie Spanien (durchschnittlich 61-111 Tage) und Frankreich (durchschnittlich 24-76 Tage) können dabei nach den Ergebnissen dieser Umfrage auch deshalb mit deutlich schnelleren Vertragsschlüssen glänzen, weil sie gesetzlich in unterschiedlichem Maße verbindlich vorgesehene Standardvertragsklauseln für die Durchführung klinischer Prüfungen nutzen.

Deutschland ist dagegen seit 2016 als Standort für klinische Studien im europäischen Vergleich stetig zurückgefallen, was neben zunehmender Bürokratie nach Aussage von Sponsoren auch auf den Faktor Zeit zurückzuführen ist. Will man verhindern, dass weitere Champions wie BioNTech „auswandern“ und Deutschland als Standort für Pharma und Biotech noch unattraktiver wird, erscheint politisches Handeln dringend geboten.

Einigung auf dem Tisch
Vor diesem Hintergrund führten die Deutsche Hochschulmedizin – vertreten durch den Medizinischem Fakultätentag (MFT), den Verband der Universitätsklinika (VUD), das Netzwerk der Koordinierungszentren für Klinische Studien (KKS-Netzwerk) und der Verband Forschender Arzneimittelhersteller (vfa) Verhandlungen über eine weiterentwickelte Fassung der „Mustervertragsklauseln für Prüfungen mit Arzneimitteln, die unter der Verantwortung eines pharmazeutischen Unternehmens durchgeführt werden“.

In den ersten Fassungen der Mustervertragsklauseln (MVK) 2017 und 2019 waren strittige Themen, wie der Umgang mit Erfindungen und datenschutzrechtliche Vorgaben noch ungeklärt geblieben. Diese waren nun Gegenstand von intensiven Verhandlungen, die 2023 erfolgreich abgeschlossen wurden. In Bezug auf Erfindungen am Prüfzentrum sehen die Mustervertragsklauseln nun einerseits eine exklusive Übernahmeoption zugunsten des Sponsors vor. Im Gegenzug erhält das Prüfzentrum für die Übertragung von Rechten an Erfindungen, die auf Überlegungen beruhen, die über die vertragsgemäße Abarbeitung des Studienprogrammes hinausgehen, mit Ausübung des Optionsrechts einen Anspruch auf angemessene Vergütung. Auch für die häufig strittige Frage, wie sich eine angemessene Vergütung bemisst, sieht die Mustervertragsklausel einen Lösungsvorschlag vor. Um die Höhe der Vergütung für beide Seiten möglichst kalkulierbar zu gestalten, wurde dabei auf eine Analogie zu den bewährten Faktoren zur Berechnung der Arbeitnehmererfindervergütung zurückgegriffen, die künftig durch abgestimmte Richtlinien weiter spezifiziert werden können. Die weiterentwickelten MVK umfassen neben der IP-Klausel eine Vielzahl weiterer Vertragsbausteine, die es ermöglichen sollen, auch in Deutschland Verträge zu klinischen Studien in einer vertretbaren Zeit abzuschließen. Entscheidend für das Erreichen dieses Ziels ist die breite Nutzung der MVK in der Praxis. Dies ließe sich etwa durch die gesetzliche Festschreibung der MVK nach französischem oder spanischem Vorbild erreichen, die mit einem unterschiedlichen Grad an Verbindlichkeit erfolgen könnte.

Derzeit beschäftigt sich das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) eindringlich mit dieser Frage, nachdem es vom Zukunftsrat im Anschluss an seine Tagung im Bundeskanzleramt im Juli 2023 den Auftrag erhielt, eine Pharmastrategie zu erarbeiten. Nach einer ersten Beteiligung der Industrie im November 2023 arbeitet das BMG nun an der Umsetzung der Pharmastrategie. Im Rahmen eines Referentenentwurfs zum Medizinforschungsgesetz wird eine Verkürzung der Bearbeitungszeit für Anträge auf mononationale klinische Prüfungen und Regelungen zu Standardvertragsklauseln für klinische Prüfungen angestrebt. Die Frist für die Umsetzung und die Verabschiedung des Medizinforschungsgesetzes ist sehr ambitioniert. Es könnte sich vor diesem Hintergrund als glücklicher Zufall erweisen, dass sich die beteiligten Kreise und Verbände jüngst auf MVK geeinigt haben. Dem haben sich nun auch BPI und BVMA angeschlossen
Es erscheint daher naheliegend, nicht „das Rad neu erfinden“, sondern auf die zwischen den beteiligten Akteuren bereits abgestimmten MVK zurückzugreifen. Zudem bleibt im Interesse der wirksamen Beschleunigung der Vertragsverhandlungen zu hoffen, dass das BMG trotz etwaiger grundrechtlicher Hürden einen Weg findet, die Nutzung von MVK auch zu einem gewissen Grad bindend festzuschreiben. Die Erfahrungen in anderen Ländern zeigen, welch positive Effekte sich hieraus ergeben.

Die MVK könnten einen Beitrag dazu leisten, den Standort D attraktiver für klinische Studien und innovative Biotech-/Pharma-Unternehmen zu machen.

Die Autoren Dr. Ute Kilger, Patentanwältin, Partnerin, Dr. Sebastian Engels, Rechtsanwalt, Partner, Boehmert & Boehmert, Berlin, waren an den Vertragsverhandlungen zu den MVK-IP-Rechten ab 2019 durch Mandat der Deutschen Hochschul­medizin maßgeblich beteiligt.

Dieser Text ist der Ausgabe 2/2024 von |transkript entnommen.

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