Was ist Gentechnik und was nicht?

„Eppur si muove!“ - „Und sie bewegt sich doch!“ Galileo Galilei (vielleicht) Mitte des Jahres steht eine Entscheidung der Europäischen Kommission an, die für Wissenschaft und Gesellschaft in der EU von großer Tragweite ist. Es geht darum, die gesetzliche Regelung der Gentechnik in den Pflanzenwissenschaften an den aktuellen Stand der Wissenschaft anzupassen und eine Situation zu korrigieren, die die EU international isoliert hat.

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Hierbei geht es um die Entdeckung des Jahrzehnts in den Biowissenschaften. Diese entwickeln sich in einem Tempo, das selbst Wissenschaftlern oft ein Staunen abringt. Dabei sticht das Genome Editing als molekularbiologische Technik noch heraus, da sie für Biotechnologie, Medizin und Landwirtschaft eine Schlüsseltechnologie darstellt, die Dinge ermöglicht, die vorher reines Wunschdenken waren. 2020 wurde dazu der seit Jahren erwartete Nobelpreis für die bisher erfolgreichste Technik CRISPR/Cas9 an ­Emmanuelle ­Charpentier und Jennifer Doudna verliehen.

Genome Editing erlaubt eine präzise Veränderung des Erbguts und damit die gezielte Züchtung von Nutzpflanzen mit vorteilhaften Eigenschaften in überschaubarem Zeitrahmen. Zwar ist diese Züchtung im Prinzip ein gentechnischer Vorgang, aller­dings ist das Produkt frei von artfremden Genen und enthält eine Veränderung, wie sie im Leben einer Pflanze hundertfach natürlicherweise entsteht. Warum sollte man identische Veränderungen aus der Natur und der Gentechnik unterschiedlich regulieren? Nun, genau das fordert die derzeitige europäische Gesetzgebung und hat sich damit logisch und wissenschaftlich ins Abseits befördert.

Tatsächlich hat die überwiegende Mehrheit der Länder weltweit, die dazu bereits eine Entscheidung getroffen haben, punktuelle Veränderungen im Erbgut, die mit Genome Editing erzeugt wurden, von der Gentechnikregulierung ausgenommen. So bleiben diese von kostspieligen Auflagen und langwierigen Anträgen verschont. Genau dieses haben alle führenden wissenschaftlichen Organisationen quer durch Europa seit Jahren einstimmig gefordert. Die angewandte Nutzung der CRISPR-Schlüsseltechnologie hat sich außerhalb Europas rasant entwickelt und zahlreiche Beispiele beeindruckender Züchtungen von Nutzpflanzen und Nutz­tieren realisiert. Patente und Biotech-Start-ups entstehen derzeit vor allem in den USA und ­China. Europa hat hier in beispielloser Weise den Anschluss verloren. Auch Entwicklungsländer in Afrika distanzieren sich zunehmend von der derzeitigen europäischen Haltung und setzen auf CRISPR-Innovationen in der Landwirtschaft. Ein voller Werkzeugkasten inklusive CRISPR & Co. ist jedoch in Europa genauso essentiell für die nötige Agrarwende hin zu ­einer umwelt- und ressourcenschonenden Landwirtschaft.

Wie könnte eine Renovierung der Gentechnik in Europa aussehen? Eine sinnvolle Regulierung muss zuallererst den Grundsätzen der Logik folgen. Was einer natürlichen genetischen Veränderung entspricht, kann nicht strenger als klassische Züchtung reguliert werden. Ergo, genom-editierte Pflanzen müssen unter dieselben Vorschriften fallen wie klassisch gezüchtete Sorten. Nicht mehr und nicht weniger. Die eingeführte Veränderung sollte exakt beschrieben und öffentlich hinterlegt sein, so dass auch esoterisch-basierte Züchter einfache technische Möglichkeiten haben, um ihre Sorten frei von diesen Innovationen zu halten. Um sicherzustellen, dass im Prozess keine gentechnischen Reste in der Pflanze verblieben sind, reicht eine niedrigschwellige Genomsequenzierung aus. Seltene, ungeplante Veränderungen an anderer Stelle sind dabei irrelevant, denn die entstehen bei klassischer Züchtung vielfach und sind dort ebenfalls nicht nachweispflichtig. Tunlichst vermieden werden sollte eine Beschränkung auf spezielle Züchtungsziele, denn diese Entscheidung kann eine Behörde fachlich nicht treffen. Ebenso Unfug wäre es, den Verbraucher mit Kennzeichnungen zu verwirren, die er unmöglich sinnvoll interpretieren kann. Die Entscheidung, ob ein Lebensmittel sicher für den Verzehr ist, muss von Behörden gefällt werden und darf nicht dem Verbraucher aufgeladen werden.

Lasst uns kein Bürokratiemonster erschaffen, sondern mutig und rational Probleme angehen, um in eine bessere Zukunft zu schreiten! In einem halben Jahr wird sich zeigen, ob politische Entscheidungsträger in der EU im 21. Jahrhundert endlich willens sind Wissenschaftler und ratio­nales Denken ernst zu nehmen. Galileo Galilei würde uns ­applaudieren.

Dieser KLARTEXT ist der Ausgabe 1/2023 des Life Sciences-Magazins |transkript entnommen.

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