
Die Plausibilität ist tot – sie lebe hoch!
Wegen mangelnder „Plausibilität“ wurden Patente vor dem EPA nicht erteilt beziehungsweise widerrufen. Nationale Gerichte haben Blockbusterpatente widerrufen, weil nicht „genug“ Daten in der Anmeldung vorlagen.
Dieser Defekt konnte auch nicht durch nachgereichte Daten geheilt werden. Die große Frage aber blieb: Wie viel Evidenz ist denn nun genug? In mehr als einem Jahrzehnt hat das EPA eine Rechtsprechung zur Plausibilität entwickelt, die allerdings drei verschieden hohe Standards widerspiegelte. Je nachdem vor welcher Kammer der Anmelder verhandelte, wurde ein hoher Standard (ab intio plausibility), ein mittlerer Standard (ab initio implausibility) und ein niedriger Standard (no plausibility) angewandt. Die lang ersehnte Entscheidung der GB sollte nun Gewissheit bringen, welcher dieser Standards gelten soll. Allerdings hat die GB das Konzept der Plausibilität als solches nicht als gültiges rechtliches Konzept anerkannt und daher auch nicht Bezug genommen, welcher der drei Standards angewandt werden soll.
Die GB hat als einen neuen Standard für die erfinderische Tätigkeit definiert, dass der technische Effekt von der Anmeldung wie eingereicht „ableitbar“ oder „umfasst“ sein soll. Was das aber genau bedeutet, wird dann wohl die Rechtsprechung der kommenden Jahre klären müssen.
Prinzipiell zu begrüßen ist zwar, dass die Große Beschwerdekammer das schwierige Konzept der Plausibilität als zusätzliches Patentierungskriterium abgelehnt hat, aber die Rechtsunsicherheit bleibt leider, weil die Begriffe „ableitbar“ und „umfasst“ interpretationsbedürftig sind. Anmelder müssen also Fall für Fall sorgfältig prüfen lassen, wie viel Evidenz am Anmeldetag notwendig ist.
Dieser IP-Kommentar ist der |transkript-Ausgabe 2/2023 entnommen.