
Gründung mit Hindernissen
Gründungen und Gründer, Land der Ideen ... – Deutschland ist sich bewusst, dass die Ressource Wissen auch angewendet werden muss, dass Innovationen nur stattfinden, wenn sie in Geschäftsmodellen auf dem Markt aus Angebot und Nachfrage funktionieren. Dazu sollen in immer neuen Wettbewerben noch mehr Gründer-Ökosysteme gebildet und immer mehr Forscher zur Firmengründung angeregt werden. Sie werden auf dem hürdenreichen Weg mannigfaltig begleitet. Doch an einem konkreten Fall aus der Münchner Region zeigt sich, dass Hürden auch einmal im zwischenmenschlichen Bereich lauern: Auf dem Weg zur konkreten Firmengründung kippte das Verhältnis des Doktoranden zu seinem Doktorvater. Das delikate Machtgefüge zwischen einem Studenten und dem etablierten W4-Professor geriet in Schieflage, als es um die Aufteilung von Firmenanteilen an dem zu gründenden Start-up ging.
Dieser Geistesblitz sollte Folgen haben. Doch ganz anders als ursprünglich geplant. Im Augenblick ist Andreas Reichert (in der Bildmitte) eher die Verärgerung sehr deutlich anzumerken. Eine aktuelle Pressemeldung der TU München reißt alte Wunden auf und bringt den Gründer der Firma Lumatix Biotech ins Grübeln.
Als er vor Jahren an seiner Doktorarbeit im Bereich Protein Engineering forschte, kam ihm die Idee, mithilfe molekularer Photoschalter Proteine bei einer bestimmten Wellenlänge an eine Chromatographiematrix zu binden und sie bei einer anderen Wellenlänge wieder abzulösen, um deren Reinigungsprozess zu vereinfachen und in nur einem Schritt eine hohe Reinheit zu erzielen. Das Thema der Doktorarbeit lautete „Protein engineering with non-natural amino acids“ mit dem experimentellen Ansatz, nicht-natürliche Aminosäuren in Proteine einzubauen und den Einbau einer lichtschaltbaren, nicht-natürlichen Aminosäure näher zu untersuchen.
Zuerst wenig Begeisterung …
Sein Doktorvater war eher skeptisch und wollte von der Idee zunächst nichts wissen. Reichert blieb standhaft und verfolgte seine Idee weiter, bis die mögliche Innovation in der Chromatographie auch beim Miterfinder des Strep-Tags (modifizierte Streptavidin-Biotin-Verbindung zur Aufreinigung von modifizierten Proteinen in den 1990er Jahren) auf fruchtbaren Boden fiel.
Wie in einer Doktorarbeit üblich, zeigte die weitere Beschäftigung mit der Thematik, dass es einige Hürden zu meistern galt, um die scheinbar einfache Idee auch praxistauglich zu machen. Viele Entscheidungen an bestimmten Wegmarken des Projektes standen an: Wie lässt sich die Photonenergie umwandeln, um eine Proteinstruktur zu beeinflussen? Wo wird ein solcher Photoschalter idealerweise angebracht – am Zielprotein als Affinitäts-Anker oder am Bindeprotein auf der Matrix? Lässt sich das Verfahren mithilfe einer nicht-natürlichen Aminosäure skalieren? Gibt es andere Methoden, einen Photoschalter an ein Protein zu koppeln? Welche Wellenlänge des Lichts und welche Lichtquelle sind geeignet – UV-Licht oder sichtbares Licht? Und wäre ein entsprechender Geräteaufbau sowie das gesamte Trennverfahren überhaupt besser und in der Praxis wirklich einfacher wie die heute standardmäßig verwendete Protein-A-Chromatographie, so dass die Innovation letztendlich auch für eine industrielle Anwendung, eine Geschäftsidee oder gar die Gründung eines Start-ups in Betracht kommt?
… dann Potential erkannt?
Diese und noch viel mehr Fragen stellte sich Andreas Reichert und versuchte, sie mit den geeigneten experimentellen Herangehensweisen valide und reproduzierbar auch mit Kollegen im wissenschaftlichen Institut abzuarbeiten. Der betreuende Doktorvater, Mitgründer mehrerer Biotechnologie-Unternehmen, sah mittlerweile großes wirtschaftliches Potential in den Forschungsarbeiten, gesetzt den Fall, dass wirklich eine einfachere und skalierbare neue Methode der Proteinreinigung dabei herauskommen würde. Er ermunterte Reichert dazu, einen Antrag beim Förderprogramm für Gründer EXIST zu stellen, um die ersten Schritte in eine Ausgründung aus der TU München vorzubereiten und dafür finanzielle Unterstützung, aber auch Begleitung durch unternehmerisch erfahrene Persönlichkeiten aus den EXIST-Netzwerken zu erhalten.
Als wissenschaftlicher Mentor des Ausgründungsprojektes wollte der Doktorvater selbst auftreten, dessen Vita als gründungsaktiver Biotechnologieprofessor sich auch auf dem Antrag „gut machen“ sollte. Der Antrag wurde gestellt und war schließlich im zweiten Versuch erfolgreich. Das innovative Licht-Chromatographieprojekt der TU München trug nun den Namen Excitography und erhielt plötzlich als mögliches Spin-off der sich selbst als sehr „unternehmerisch geprägt“ sehenden Technischen Universität München einen anderen Stellenwert als ein x-beliebiges Promotionsvorhaben.
Die Stimmung kippt
Auf dem Weg zur konkreten Firmengründung kippte das Verhältnis des Doktoranden zu seinem Doktorvater. Das delikate Machtgefüge zwischen einem Studenten und dem etablierten W4-Professor geriet in Schieflage, als es um die Aufteilung von Firmenanteilen an dem zu gründenden Start-up ging.
Die Statuten der EXIST-Förderung sehen dabei vor, dass Mentoren höchstens 10% Firmenanteile erhalten dürfen, um eine zu große beiderseitige Abhängigkeit in der Gründungsphase zu verhindern. Reichert erinnert sich, dass ihm sein Doktorvater eine Umgehung dieser Regel vorschlug. Der „Vorschlag“ kam ihm jedoch eher wie eine Erpressung vor: „Mir wurde die Pistole auf die Brust gesetzt“, sagt Reichert. Der Mentor wollte nämlich ultimativ 30% Anteile an dem Licht-Start-up. Das Ganze liefe nur so und mit ihm, dem Professor, oder eben gar nicht. Auch die parallelen Verhandlungen mit der für den Technologietransfer vieler bayerischer Forschungsstätten zuständigen Bayerischen Patentallianz (BayPat) hielt für den Doktoranden Reichert eine unerfreuliche Überraschung über die Konditionen bereit, über deren Inhalte Reichert jedoch zum Stillschweigen verpflichtet ist. „Für mich als jungen Doktoranden und eigentlichen Gründer sah das alles danach aus, als würde mir bereits vor dem eigentlichen Start ein Großteil des Unternehmens entrissen, das weitere Risiko und meine ganze Existenz aber mir ganz alleine aufgebürdet werden“, so Reichert.
Der Streit eskalierte, weil der Doktorand nicht klein beigeben wollte. Lieber verzichtete er auf eine Firmengründung unter Lizenznahme des mitverfassten Patentes zu den Bedingungen der Patentverwertungsgesellschaft. Damit sah Reichert keine Zukunft mehr in den Laborräumen des nun ehemaligen Doktorvaters.
Unterschlupf gefunden
Reichert musste damit den Doktortitel in den Wind schreiben und suchte eine anderweitige Lösung für die vertrackte Situation, um seine wissenschaftlichen Experimente dennoch fortsetzen zu können.
Zu Hilfe kam Reichert, dass die Fördergelder des EXIST-Antrages auf den Namen der Universität liefen und nicht auf einen bestimmten Lehrstuhl(inhaber). Das EXIST-Projekt ist zudem an den Projektleiter gebunden. Ein Streit um diese Gelder hätte wohl den Fördermittelgeber auf den Plan gerufen, doch dazu kam es nicht. Ein anderer, mit Fördergeldern und Räumlichkeiten gut ausgestatteter TUM-Professor offerierte Reichert einen Platz für die Fortsetzung der Forschungsarbeiten. Laut Reichert wäre das der einzige Professor mit genügend Standfestigkeit gegenüber dem vielfach ausgezeichneten, ehemaligen Departmentsprecher der Life Sciences der TU München gewesen – und seine Rettung. Der neue Mentor seiner Forschungsarbeiten schaffte eine Art Schutzraum für Reichert. Auch die Anwürfe über falsch abgerechnete Verbrauchsmaterialien, die Umleitung von Fördergeldern und Nutzung von Gerätschaften konnten über eine korrekt arbeitende Verwaltung der TU München abgewehrt werden.
Was passiert mit der Idee?
Der viele Streit, die Aufgabe der Promotion, die Unsicherheit über die eigene Existenz in der Forschungsgemeinde wie auch mit den weiteren Schritten als Unternehmer lenkten Reichert in diesen Monaten gewaltig von seinem eigentlichen Vorhaben ab. Nicht so sehr allerdings, dass er aus seinen vielen Experimenten nicht erkennen konnte, dass einige Aspekte der ursprünglichen Idee möglicherweise gar nicht so überzeugend waren. So wurde klar, dass der Weg über eine nicht-natürliche Aminosäure nicht skalierbar war, denn jedem Protein hätte diese Modifikation künstlich hinzugefügt und später wieder abgespalten werden müssen. Es war für ihn offensichtlicher, dass die Affinitätsmatrix selbst für die Reinigung von Antikörpern lichtschaltbar und damit universell einsetzbar sein musste – ohne das Zielprotein zu verändern – und dass statt UV-Licht besser sichtbares Licht für den Reinigungsprozess geeignet ist.
Die Patentanmeldung der Idee von lichtschaltbaren nicht-natürlichen Aminosäuren war zu diesem Zeitpunkt bereits erfolgt. Das Patent gehörte im Rahmen des Arbeitnehmererfindungsgesetzes der TUM. Da die Verhandlungen über eine mögliche Lizenz der mitentwickelten (Reichert-)Technologie für ein eigenes Reichert-Start-up in diesen ganzen Streitereien langsam vorangingen und seine weiteren Forschungsergebnisse eine andere Richtung als sinnvoller erscheinen ließen, drückte Reichert den Reset-Knopf und verzichtete auf eine Lizenznahme. Ob er je eine solche Lizenz erhalten hätte, bleibt damit ungeklärt, spielt aber für den weiteren Fortgang keine wesentliche Rolle.
Allein auf neuen Wegen
Die weitere Forschung von Reichert und seinem Team zeigte, dass er erst mit dem Schritt, sich auf die Affinitätsmatrix zu konzentrieren, zu einem neuen, skalierbaren Verfahrensprozess gelangen konnte. Das entsprechende Patent meldete die neu gegründete Firma mit eigenem privatem Geld der Gründer an – ohne jegliche Altlasten.
Die Idee der „lichtschaltbaren Matrix“ hat nun bereits viel Aufmerksamkeit in der Proteinanalytik und im Downstream-Processing gefunden. Das Start-up von Andreas Reichert trägt den passenden Namen Lumatix Biotech. Mit seiner eigenständigen Firmengründung findet er sich immer wieder bei Start-up-Veranstaltungen als Preisträger oder Finalist bei den Kurzpräsentationen. Zuletzt beim Innovationspreis der BioRegionen vor großem Publikum auf den Deutschen Biotechnologietagen in Heidelberg.
Mit Produkten überzeugen
Zum Jahresanfang hat Lumatix sein erstes Produkt auf den Markt gebracht, nachdem bereits Referenzkunden als Tester die Idee, das Verfahren und die Handhabung positiv bewertet hatten und für erste Umsätze im Unternehmen sorgten. Reichert und sein Team haben über zwei Jahre eigene Forschung die Wiederfindungsrate bei der Proteinreinigung auf 98% steigern können. Er sieht sein System als eine Plattformtechnologie, die Raum lasse für Weiterentwicklungen bei der Reinigung von Viruspartikeln, DNA und mRNA oder sogar ganzen Zellen.
Vergangenheit meldet sich
Für die eingangs erwähnt böse Überraschung und die Erinnerung an die schwierige Vergangenheit seiner eigenen Anfänge sorgte da im Frühjahr die Meldung aus dem Forschungslabor von Prof. Dr. Arne Skerra, eine neue Reinigungsmethode mit Licht entwickelt zu haben. Viele Medien der Branche griffen die Nachricht als interessant und berichtenswert auf. Die Pressestelle der TUM selbst hatte keinen Blick für die früheren sehr ähnlichen Arbeiten aus der eigenen Forschung, den Streit rings um eine geplante Firmengründung wohl nicht mitbekommen oder ausgeblendet. Doch Ähnlichkeiten mit dem ursprünglichen Ansatz von Andreas Reichert sind erkennbar, wenn auch Details einige leichte Abwandlungen des damaligen Ansatzes umfassen.
Noch immer ist Skerra auf dem Weg unterwegs, eine lichtgetriebene Affinitätschromatographie mit Hilfe einer nicht-natürlichen Aminosäure zu realisieren. Der Photoschalter und der Syntheseschritt unterscheiden sich vom einstigen Ansatz von Andreas Reichert, als er seine Experimente für seine Doktorarbeit gestartet hatte.
Doch von außen betrachtet, startet Skerra jetzt mit der eigenen Neuentwicklung auf einem Pfad, den Reichert wegen mangelnder Praxistauglichkeit bereits vor langer Zeit aufgegeben hat. In Fachkreisen stößt dieser Ansatz aus der praktischen Erfahrung der Kundengespräche vom Lumatix-Team immer wieder auf Ablehnung: Zum einen trägt das Zielmolekül ein Affinitätsanhängsel und wird damit verändert, zum anderen wirft der schwierige Einbau der nicht-natürlichen Aminosäure bei hohen Kosten und geringen Ausbeuten große Zweifel zur ökonomischen Verhältnismäßigkeit auf.
Reichert ärgert sich nicht nur über die wiedergeweckten Erinnerungen an schlechte vergangenen Tage, sondern auch über die mediale Kommunikationsmacht der Pressestelle der TU München, die nun aktuell den Photoschalter von Skerra als die neueste Entdeckung und das „Gelbe vom Ei“ vermarkte, obwohl die (eigene) Forschung nur ein Nachbarlabor entfernt über diesen Stand der Erkenntnis bereits weit hinausgegangen ist.
Er müsse nun wieder einigen Kunden und Gesprächspartnern zu kritischen Fragen Erklärungen geben, die auf seine Technologie gar nicht zutreffen und jedes Mal aufs Neue erläutern, warum der „Skerra-Weg“ vermutlich eine Sackgasse sei. Bisher waren alle Kunden mit den Aussagen „wissen wir, haben wir gesehen und machen wir lieber anders“ recht schnell zu überzeugen. Doch in der Community werde man leider ab und zu in den gleichen Topf geworfen, so Reichert.
Ein Einzelfall? Mitnichten!
Für das in Ungnade gefallene Promotionsprojekt und das nur durch Hartnäckigkeit und Eigeninitiative etablierte Start-up sind solche unbedachten medialen Wellen aus der Vergangenheit wie ein Phantomschmerz. Eigentlich ist Lumatix eben anders unterwegs, hat die eigenen Hypothesen hinterfragt und aufgrund der Ergebnisse den weiteren Weg angepasst.
Das „fröhliche Gründerleben“ traf bei Andreas Reichert auf die harte Wirklichkeit. Der Technologietransfer zur Ausgründung verlief mehr als holperig, man könnte eher von Knüppeln zwischen den Beinen als von einer Unterstützung sprechen. Mit Ausnahme eines einzelnen wohletablierten Professors, der ohne eigene Beteiligungsansprüche mit dem Angebot von Räumlichkeiten der Erforschung einer Arbeitshypothese die optimalen Entwicklungschancen gab, fand der Existenzgründungswillige wenig Freiheit zur eigenen Forschung. „Hiervon braucht Deutschland mehr: Professoren, die nicht nur verstehen, wissenschaftliche Erkenntnisse in anwendbare Technologien zu übersetzen, sondern auch junge Menschen bei der Verwirklichung ihrer Ziele zu unterstützen“, sagt Andreas Reichert dazu. „Ende dieses Jahres wird es leider einen solchen Professor weniger geben, denn unser Mentor geht in Rente“, stellt er mit großer Ernüchterung fest.
Die andere Perspektive
Natürlich hat |transkript auch der Gegenseite Gelegenheit zur Darlegung der eigenen Sichtweise auf die Vorgänge gegeben. Reicherts ehemaliger Doktorvater Prof. Arne Skerra schrieb unter anderem dazu: „Es ist aus meiner Sicht ausgesprochen bedauerlich, wie sich das persönliche Verhältnis mit meinem früheren Doktoranden Andreas Reichert entwickelt hat. Wir haben an meinem Lehrstuhl lange sehr gut und erfolgreich zusammengearbeitet und hatten eigentlich auch vielversprechende Pläne für eine gemeinsame wirtschaftliche Verwertung unserer letzten Forschungsergebnisse.“ Er ergänzte: „Leider verschlechterte sich das Verhältnis in der Gründungsphase des Start-ups aber abrupt. Das empfinde ich auch heute noch als ausgesprochen unglücklich. Aber so etwas passiert im Leben. Dann ist es das Beste, wenn man getrennte Wege geht. Diesen Schritt hat Herr Reichert aus eigenem Entschluss vollzogen.“ Das sind Sätze, die auch Andreas Reichert durchaus unterschreiben kann.
Autor: Dr. Georg Kääb. Entnommen aus |transkript 2/25. Auf den folgenden Seiten des Magazins wurde das nachfolgende Interview veröffentlicht.
Ausgleich der Interessen
|transkript sprach mit Dr. Christian Stein, langjähriger Geschäftsführer der Technologietransferorganisation Ascenion. Stein und Ascenion haben zu dem vorbeschriebenen „Gründungsunterfangen mit Schwierigkeiten“ an der TU München keine Verbindung.
|transkript. Die Unternehmensgründung wird viel beworben und als ein guter Weg für den Wissenschaftler geschildert, die Idee zur wirtschaftlichen Anwendung zu bringen. Welche Fallstricke lauern aber doch bei den allerersten Schritten?
Christian Stein. Eine Unternehmensgründung ist in meinen Augen kein einfacher und schneller Weg, Ideen in wirtschaftlich lukrative Produkte zu verwandeln oder Serviceleistungen zu entwickeln. An dieser Stelle würde ich gerne mehr Realismus sehen. Unternehmensgründungen fordern von ihren Gründern ganzen Einsatz, Willen zum Erfolg, Kompromissbereitschaft, strategisches und taktisches Gespür, das richtige Setzen von Prioritäten, Bereitschaft, Interessen auszugleichen und wirtschaftliches Kalkül. Und das ist bei weitem keine erschöpfende Liste. Neben formalen und behördlichen Hürden auf dem Weg zur Gründung, wie die Erfüllung von KYC (Know Your Customer)-Anforderungen bei der Kontoeröffnung, dem Gang zum Notar, der Erstellung von Gesellschaftsvertrag (Satzung) und Gesellschafterverträgen gibt es eine lange Liste anderer Anforderungen verschiedener Stakeholder, deren Interessen zu beachten sind. Die unterschiedlichen Interessenslagen von Gründern, Arbeitgebern (Universität/FE), mögliche Patente und andere Schutzrechte, die im Unternehmen gebraucht werden, Fördermittelgeber, Investoren, Mitgesellschafter und so weiter. Nein – die Schaffung eines erfolgreichen Unternehmens ist kein Spaziergang, sondern eine echte Herausforderung und erfordert die Bereitschaft, mit den Besten in Wettbewerb zu treten. Und auf diesem Weg gibt es nach meiner persönlichen Erfahrung immer wieder Hindernisse, aber eben auch die Chance auf den großen Erfolg. Und dafür lohnt sich der ganze Einsatz.
|transkript. Wie häufig haben Sie schon Spannungen unter den wissenschaftlichen Gründern erlebt, die vielleicht sogar die Gründung verhindert haben?
Stein. Mit dem Team steht und fällt eine Gründung. Alle, die Erfahrungen mit Spinoffs und Unternehmensgründungen haben, wissen um die Bedeutung der Zusammensetzung des Teams und der Gruppe der Gesellschafter. Die Mitglieder des Gründerteams müssen sich untereinander über ihre jeweiligen Rollen im Klaren sein, und sich natürlich auch über die Anteilsverteilung einigen. Das ist ein Teil des Prozesses des Teambuildings und die erste Hürde auf dem Weg zu einer erfolgreichen Gründung. Am besten ist es, wenn sich das Team ohne fremde Hilfe einigt, aber natürlich können hier Gründer die Erfahrung externer Experten nutzen. Investoren schauen sich üblicherweise sehr genau an, wie die Rollen und Anteile in einem Team verteilt sind, und ob die Verteilung von Anteilen der Bedeutung für die künftige Unternehmensentwicklung angemessen ist. Hierarchien sollten in diesen Diskussionen keine Rolle spielen. Eine nicht meritokratisch motivierte Verteilung von Gründeranteilen kann bei der Investorensuche von Nachteil sein. Generell sollte das Gründungsteam mögliche Spannungen, so irgend möglich, zu Anfang und intern lösen. Dass eine Gründung daran scheitert, kommt vor, ist aber die Ausnahme.
|transkript. Laut Arbeitnehmererfindungsgesetz ist es die Hochschule insgesamt, die als öffentlicher Arbeitgeber das erste Zugriffsrecht auf eine patentierbare Erfindung hat. Gibt es eine formale Rangfolge, welcher Wissenschaftler dann an die Stelle der Hochschule treten kann, wenn diese an der Patentierung kein Interesse hat?
Stein. Ja, das ist richtig. Wie in fast allen europäischen Ländern üblich, gehört die Erfindung auch an Hochschulen und Universitäten dem Arbeitgeber. Für den Fall, dass die Universität sich entscheidet, eine Erfindung, beziehungsweise eine Patentanmeldung an die Erfinder freizugeben, so gibt es meines Wissens hier keine festgelegte Rangfolge oder Tradition, sondern die Erfindung wird den Erfindern gleichzeitig zur Übernahme angeboten. Damit haben die Erfinder natürlich auch die Kosten einer möglichen Patentierung zu tragen.
|transkript. Gerne werden auch die Technologietransferstellen gescholten, dass sie zu wenig professionell im Ausgründungsbereich agierten oder aber mit übertriebenen Vorstellungen in die Verhandlungen mit Dritten gingen. Viele Anwälte und Juristen sind schnell hinzugezogen. Wer aber ist der Anwalt des Gründers? Wo lässt sich hier ein goldener Mittelweg finden?
Stein. Wir haben in diesem Jahr bereits fünf Spin-offs mitgegründet und mehrere Finanzierungsrunden begleitet. Es ist also möglich, das gemeinsame Ziel einer erfolgreichen Gründung über Interessenskonflikte zu priorisieren. Zu oft konzentrieren sich Verhandlungen zu wenig auf wirtschaftlich effiziente und marktgängige Lösungen und gemeinsame Ziele. Mein Wissensstand ist, dass es zahlreiche Förderprogramme auf Bund- und Länderebene gibt, die den Gründerteams Beratung und juristischen Beistand für Verhandlungen mit ihren Arbeitgebern, den Universitäten und Forschungseinrichtungen, finanzieren. Damit soll das Ungleichgewicht zwischen, insbesondere Erst-Gründer, und den, mit Rechtsabteilungen und administrativen Kapazitäten ausgestatteten Institutionen Rechnung getragen werden. Gründer genießen in Deutschland bei der Verhandlung mit Hochschulen meist weit mehr Unterstützung als die Gründer in anderen europäischen Ländern. Die zentrale Aufgabe des Technologietransfers ist es doch, Ergebnisse und IP akademischer Einrichtungen zum Wohl der Gesellschaft nutzbar zu machen. Dazu gehört selbstverständlich die Unterstützung von Spin-offs. Programme wie Maximize (Max-Planck) und Ahead (Fraunhofer) dienen dazu, Gründer auf dem Weg zur Gründung zu unterstützen. Gleichzeitig haben Universitäten und Forschungseinrichtungen ein berechtigtes Interesse, am Wert dieser Spin-offs zu partizipieren. Um den damit verbundenen Prozess effizienter zu gestalten, gibt es inzwischen Rahmenbedingungen für den Transfer von Patenten/IP aus akademischen Einrichtungen in Spin-offs. Für den Bereich der Lebenswissenschaften und Gesundheit hat die TransferAllianz im vergangenen Herbst eine Empfehlung herausgegeben. Auch die Max-Planck-Gesellschaft, die Helmholtz-Gemeinschaft und andere haben eigene, sehr ähnliche Leitlinien entwickelt, die an vielen Einrichtungen bereits etabliert und erfolgreich umgesetzt werden. Diese Empfehlungen wurden unter Einbindung von Gründern, Investoren und Juristen erarbeitet, und orientieren sich an international anerkannten Standards in den USA, UK, den Niederlanden und verschiedenen anderen Nationen. Der europäische Technologietransfer-Verband ASTP hat im Frühjahr 2025 ebenfalls ein White Paper zu diesem Thema veröffentlicht. Hier hat sich in den letzten beiden Jahre – zugegeben längst überfällig – viel bewegt. Das wird den Weg zur Gründung von Spin-offs aus Universitäten und Forschungseinrichtungen in Deutschland schneller, effizienter und einfacher machen, auch ohne weitere Regulierung aus Bund- und Ländern. An dieser Stelle bin ich im Übrigen überrascht, dass trotz des permanenten Rufes nach Abbau von Regulierung im Koalitionsvertrag mehr Regulierung, statt eine Beförderung der unternehmerischen Universität, gefordert wird.
|transkript. Gerne werden internationale Beispiele herangezogen, wo angeblich alles im Technologietransfer besser läuft und vor allem gerade die US-Universitäten (fast) gar keine Beteiligung einfordern. Ist das keine Benachteiligung hiesiger Gründer?
Stein. Wir schielen oft und gerne auf die erfolgreichen Gründungsnationen und unsere Vorbilder für Innovation durch Spin-offs. Egal welches Land man betrachtet, die USA, das Vereinigte Königreich, die Niederlande oder Israel. Überall werden Patente und IP der Universitäten und Forschungseinrichtungen als wirtschaftliche Assets wahrgenommen, gemanagt und kommerziell optimal verwertet. Überall dort werden Spin-offs und Start-ups gefördert und positiv begleitet. Niemand ist jedoch in diesen Ländern der Meinung, dass es mehr oder bessere Spin-offs gibt, wenn IP zu nicht marktüblichen Konditionen – insbesondere im Gesundheitsbereich – ohne Beteiligung und Lizenzverträge an Spin-offs vergeben wird. Wir sind mit den in den letzten beiden Jahren geschaffenen Empfehlungen und Leitlinien zur Standardisierung von Konditionen zum Transfer von IP aus akademischen Einrichtungen in Spin-offs auf einem exzellenten Weg. Das verdient meines Erachtens die Unterstützung aller Stakeholder und der Politik.
Das Interview führte Redaktionsleiter Dr. Georg Kääb im Mai 2025.
Kommentar: FÜRSPRECHER DER GRÜNDER
Vermutlich haben schon viele Gründer in der Realität mehr Hürden überspringen
müssen, als ursprünglich bei diesem Vorhaben absehbar waren. Das durchzuhalten,
dazu gehört mitunter ein starkes Rückgrat dieser Gründer. In den Gründerinitiativen
gibt es viele Angebote beispielsweise zur Wahl der geeigneten Firmierung und den
rechtlichen Feinheiten der Firmengründung. Auch können Wissenschaftler, die eine
Gründung planen, sich durch unzählige Businessplan-Wettbewerbe vorarbeiten, um
die Firmenpräsentation vor Investoren zu üben und zu verbessern. Doch fehlt es in
der ganz frühen Phase der Patentierung und der Lizenznahme eines solchen Hoch-
schulpatents an unabhängigen Fürsprechern für die Gründer. Zum Ausgleich der
durchaus nachvollziehbar unterschiedlichen Interessen bräuchte es eine Art Schieds-
stelle, die neutral und unbefangen vermitteln kann. Das fehlt heute noch.Georg Kääb