Novartis

Novartis reagiert auf Roches Alzheimer-Ansatz

Im Wettlauf der beiden Pharmagrößen aus Basel ist Novartis derzeit eher in der reaktiven Position. Denn Roche hat mit kürzlich veröffentlichten klinischen Daten bei Alzheimer für Furore gesorgt: Erstmals konnte ein Antikörper offensichtlich hocheffektiv über die Blut-Hirn-Schranke transportiert werden, der dort gegen das beta-Amyloid und dessen Ablagerungen wesentliich größere Wirksamkeit zeigte als bisherige Versuche. Nun will Novartis eine Transportertechnologie der US-amerikanischen Firma Sironax erwerben – und auch bei Muskelerkrankungen wie Duchenne soll Novartis laut Gerüchten an einer Übernahme interessiert sein. Roche ist in diesem Bereich mit einer Gentherapie vertreten.

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Bereits Anfang Juli sicherte sich Novartis die exklusive Kaufoption auf die Hirn-Wirkstoffabgabeplattform von Sironax. Die chinesisch-US-amerikanische Biotech-Firma hat eine Brain Delivery Module (BDM)-Plattform entwickelt, die eine gezielte Wirkstoffzufuhr ins Gehirn durch Überwindung der Blut-Hirn-Schranke ermöglicht – ein zentrales Problem in der Entwicklung neurologischer Medikamente.

Während sich Novartis das weltweite Nutzungsrecht an der Plattform sichert, behält Sironax das Recht, ausgewählte eigene Wirkstoffe weiterhin auf Basis der Plattform weiterzuentwickeln. Die Vereinbarung sieht Zahlungen von bis zu 175 Mio. US-Dollar in Form von Voraus- und kurzfristigen Meilensteinzahlungen vor.

Die Vereinbarung mit Sironax reiht sich ein in eine wachsende Zahl von strategischen Allianzen und gezielten Zukäufen, mit denen Novartis aktuell seine Pipeline in der Neurologie systematisch ausbaut. In den vergangenen Quartalen hatte der Konzern bereits mit Unternehmen wie Voyager Therapeutics (Gentherapie) und Neurocrine Biosciences (Parkinson-Forschung) kooperiert beziehungsweise sich Technologierechte gesichert.

Ewiges Wettrennen der Pharmagrößen in Basel

Besonders auffällig ist der Fokus auf Plattformtechnologien, die eine breite therapeutische Anwendung ermöglichen – im Fall von Sironax etwa für verschiedene Modalitäten jenseits klassischer Wirkstoffe. Diese Strategie reflektiert das Ziel von Novartis, First-in-Class-Ansätze im zentralen Nervensystem zu priorisieren und technologische Eintrittsbarrieren frühzeitig zu meistern. Mit rund 15 Pipelineprojekten im Bereich der neurologischen Erkrankungen ist Novartis in diesem Segment insbesondere bei Multipler Sklerose, Myasthenia gravis sowie einzelnen Erkrankungen mit bekannter genetischer Ursache vertreten. Bei Alzheimer gibt es bisher nur ein frühes Projekt in der Phase I mit einem ASO (Antisense Oligonukleotid) gegen das Alzheimerprotein Tau. Zwar ist Roche im Bereich Alzheimer schon länger mit Antikörperprojekten vertreten, doch bisher war keines davon wirklich durchschlagend. Mit der Eigenentwicklung eines Transporters, der Antikörpern über die Blut-Hirn-Schranke hilft, konnte Roche nun erstmals den Nachweis antreten, dass erst mit dem Erreichen einer höheren Konzentration vor Ort im Gehirn, die Wirksamkeit der anti-Amyloid-Therapie sinnvoll bewertet werden kann. Roche zielt nun auf einen möglichst frühzeitigen Einsatz dieses Antikörpers, damit die Ablagerungen gar nicht erst entstehen und Schaden anrichten können. Auch auf der diagnostischen Seite hat Roche viel getan, um frühe Anzeichen der Alzheimer-Erkrankung detektieren zu können.

Novartis hat den Wettbewerb noch nicht aufgegeben und scheint, mit dem Erwerb der Sironax-Plattform im Bereich der neurologischen Erkrankungen sogar noch mehr vorzuhaben. Sironax verlegte nach dem Deal das Hauptquartier flugs nach Basel, um näher an Novartis heranzurücken. Und auch sonst will Novartis den Nachbarn in den Roche-Türmen nur ungern den Vortritt lassen: derzeit kursieren – angefacht von einem Bericht der Financial Times – Gerüchte, dass der Novartis-CEO eine neuerliche Firmenübernahme plane und Avidity Biosciences in den Fokus genommen habe. Diese Firma hat ebenfalls eine Plattformtechnologie entwickelt, mit der Antikörper und Oligonukleotide (beispielsweise mRNA) konjugiert und als doppelter Wirkstoff entwickelt werden können (sogenannte AOCs, Antikörper-Oligonukleotid-Konjugate). Die Pipeline von Avidity hat einen Schwerpunkt bei Muskelerkranungen wie Duchenne Muskeldystrophie (DMD) und anderen Krankheitsformen. In diesem Bereich ist Novartis bisher nicht vertreten, aber Nachbar Roche. Dieser hatte vor Jahren für viel Geld den Partner Sarepta und dessen Gentherapie gegen DMD mit exklusiven Vertriebsrechten gekauft. Doch vor wenigen Wochen erhielt diese Gentherapie ein Stoppsignal wegen Todesfällen nach Behandlung. Drei verstorbene Patienten wegen akuter Lebertoxizität waren der FDA gemeldet worden, die eine Untersuchung anordnete. In der FDA ist darüber ein Streit ausgebrochen, mittlerweile ist zumindest der Vertrieb der Gentherapie wieder erlaubt, weil auch die Patientenvertreter Sturm gelaufen waren.

In diese Gemengelage würde ein Übernahme-Schachzug von Novartis gut hineinpassen, um den Fokus auf die eigene Strategie und die immer breiter werdende Wirkstoffpipeline zu lenken. Statt auf Roche zu reagieren, würde Novartis wie einst bei der Entwicklung der CAR-T-Therapeutika selbst nur zu gerne die Pharmaherde wieder einmal anführen.

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