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Teurer Rückkauf: Novartis holt sich Anthos zurück
Man mag es ein Umschwenken oder eine Rolle rückwärts nennen, vielleicht aber war es sogar ein geschickter Schachzug vor einigen Jahren, ein Antikörper-Entwicklungsprogramm auszugliedern, es von anderen vorantreiben zu lassen und nur im Erfolgsfall wieder zurückzuholen. So geht nun gerade Novartis vor und kauft für mehrere Milliarden Anthos Therapeutics und damit einen ursprünglichen Novartis-Antikörper zurück, weil er sehr gut zu funktionieren scheint, wo viele andere Wettbewerber gescheitert sind: bei der Blutgerinnung.
Novartis möchte seinen gerinnungshemmenden Antikörper Abelacimab zurückhaben und bot bis zu 3,1 Mrd. US-Dollar für die Übernahme der in Boston ansässigen Anthos Therapeutics. Das Biotech-Unternehmen war 2019 gemeinsam von Novartis mit der Investmentfirma Blackstone Life Sciences gegründet worden. Damals gab das Pharmaunternehmen Abelacimab an das Start-up ab, das zusammen mit 250 Mio. US-Dollar Startkapital von Blackstone den Antikörper durch die klinischen Studien bringen sollte.
Abelacimab ist ein vollständig humaner monoklonaler Antikörper, der an Faktor XI bindet, ein zentrales Gerinnungsprotein – und ein bekanntes Ziel für Antikoagulanzien. Abelacimab befindet sich derzeit in Phase III-Studien zur Prävention von Schlaganfällen und systemischen Embolien bei Patienten mit Vorhofflimmern. Zuvor hatte es in der Phase IIb-Studie AZALEA-TIMI gezeigt, dass die monatliche Verabreichung von 150 mg Abelacimab den Faktor XI im Mittel zu 99 % hemmt und diese Wirkung mehr als zwei Jahre lang aufrechterhalten kann.
Bei Patienten, die Abelacimab erhielten, sank die Zahl schwerer oder klinisch relevanter nicht-schwerer Blutungen um 62 % im Vergleich zu Patienten, die das Medikament Xarelto von Johnson & Johnson erhielten. Der Behandlungsunterschied war statistisch signifikant. Aufgrund der „überwältigenden“ Wirksamkeit von Abelacimab wurde diese Studie frühzeitig beendet und direkt die zulassungsrelevante Phase III begonnen.
Laut Branchenexperten könnte Novartis dort anknüpfen, wo der Pharmakonzern Bayer gescheitert ist. Im November 2023 brach das Unternehmen aus Leverkusen die Phase III-Studie OCEANIC-AF zu seinem Faktor-XIa-Blocker Asundexian ab, nachdem ein unabhängiges Datenüberwachungsgremium festgestellt hatte, dass der Kandidat gegenüber Eliquis von Pfizer eine „geringere Wirksamkeit“ aufwies. J&J und BMS mussten im August 2022 ebenfalls einen Rückschlag bei Faktor XIa hinnehmen, als ihr Kandidat Milvexian bei Patienten mit akuten ischämischen Schlaganfällen oder transitorischen ischämischen Attacken keine Dosisreaktion zeigte.
Für das laufende Geschäftsjahr ist Novartis optimistisch und erwartet ein Wachstum im mittleren bis hohen einstelligen Prozentbereich, gestützt auf die starken Erlöse der wichtigsten Produkte wie Entresto, Kesimpta und Kisqali im vergangenen Jahr. Zudem hatten die Schweizer schon angekündigt, dass Akquisitionen im niedrigen Milliardenbereich für sie immer eine Option seien, wenn damit das Portfolio sinnvoll ergänzt werden kann. Danach sieht es in dieser Rückholaktion aus.
Die Übernahme reiht sich ein in eine Serie von Großübernahmen in der Biopharmabranche. Kürzlich kündigte die Risikokapitalgesellschaft Bain Capital die Übernahme des japanischen Unternehmens Mistubishi Tanabe für 3,3 Mrd. US-Dollar an. Vor einem Monat übernahm GSK die Firma IDRx für mindestens 1 Mrd. US-Dollar, J&J kaufte Intra-Cellular für sogar 14,6 Mrd. US-Dollar. Bei einer weiteren möglichen Übernahme steht die Darmstädter Merck KGaA im Mittelpunkt, die sich mit der US-amerikanischen Onkologiefirma SpringWorks in „fortgeschrittenen Gesprächen“ befindet. Auch ihr Aufkauf dürfte einige Milliarden kosten, wenn beide Parteien zu einer Einigung finden. Treiber der ansteigenden Kaufwelle unter den großen Pharmafirmen ist das sogenannte Patent-Kliff, der Ablauf zahlreicher Blockbuster aus dem Patentschutz, bei dem nach Rechnung von Branchenexperten in den kommenden Monaten und Jahren über 300 Mrd. US-Dollar aus den Bilanzen der Unternehmen fallen könnten.