Genschere der anderen Art
Fast 12 Mio. Euro für eine Plattform, die dem Genome Editing den Rang abzulaufen verspricht, hat die Dresdener Seamless Therapeutics eingeheimst. Kernstück ist ein Vorhersage-Algorithmus.
Wer VC-Gesellschaften wie Wellington Partners und Forbion zu einer Seed-Finanzierung bewegt, kann nicht ganz falsch liegen. In der Tat kommt die Seamless Therapeutics GmbH mit einer Verbesserung der etablierten Rekombinase-Technologie daher, die auch international begeistert. Zwar können die seit den 1980er Jahren bekannten Rekombinasen seit jeher vier Dinge: ein DNA-Stück ausschneiden, ein DNA-Fragment umdrehen, neu einbringen, oder einen neuen Sequenzbereich gegen einen vorhandenen austauschen. Doch waren sie – anders als die nobelpreisgekrönte Genschere CRISPR-Cas-9 – bisher nicht sequenzspezifisch einsetzbar und daher auf bestimmte Anwendungen beschränkt. Das ändert die Ausgründung aus dem Labor von Prof. Dr. Frank Buchholz, Dekan an der Universität Dresden, nun weltweit zum ersten Mal. „Wir haben eine Plattform entwickelt, auf der eine molekulare Evolution an der Rekombinase vollzogen werden kann, die die Rekombinasen für eine beliebige Sequenz im Genom spezifisch macht“, erklärt CSO Dr. Felix Lansing, der zusammen mit CEO Dr. Anne-Kristin Heninger das Unternehmen mitgegründet hat. Doch nach einer GO-Bio-Präsentation mit anschließender europaweiter Investorensuche ging die Technologie viral und erhielt eine GO-Bio-Phase 2-Förderung, die in die Ende März bekanntgemachten 11,8 Mio. Euro Seedkapital eingerechnet ist.
Grundlage für die Innovation ist der von Lansing und Heninger entwickelte Algorithmus RecGen, der weltweit eimalig zu einer Proteinmodifizierung das passende Bindungsmotiv auf DNA-Ebene voraussagt – oder umgekehrt. Die so programmierten Rekombinasen werden so neben CRISPR-Cas zu einem hochspezifischen und variablen molekularbiologischen Werkzeug. Die hohe Spezifität wird laut Lansing durch eine in die Rekombinase einprogrammierte Zielsequenz von 34 Basenpaaren erzielt.
Unabhängig und präzise
„Von Punktmutation bis zu vielen tausend Basenpaaren modifiziert die Rekombinase fehlerfrei – „seamless“ eben, so Heninger, „während CRISPR auf die zellulären DNA-Reparaturenzyme angewiesen ist.“ „Die wissenschaftliche Leistung ist, die neue Spezifität durch Design und molekulare Evolution in die Rekombinasen hineinzubringen. Dieses Vorgehen, das aktuell in Nature publiziert wurde, beweist, dass die Theorie der neuen Sequenzspezifität durch Protein Engineering in der Praxis auch funktioniert und dem keine Grenzen gesetzt sind“, erklärt Heninger. Im Gegensatz zum heißumkämpften Genome-Editing-Feld genießen die mit geläufigen Vektoren exprimierbaren Rekombinasen einen nahezu nahtlosen Patentschutz: „Wir entwickeln neue Enzyme, die sofort ihre eigene IP haben. Diese neuen Varianten laufen in unserem ganz eigenen Patentschutz-Universum“, so Heninger.Zudem kann Seamless Therapeutics große Fragmente gezielt korrigieren, konkret: bis zu 140.000 Basenpaar große DNA-Stücke im Genom präzise hin- und herbewegen, die Rekombinase selbst als Arzneimittel formulieren oder aber zur Optimierung anderer Wirkstoffe einsetzen. Das Seedkapital will das Unternehmen nun nutzen, um Daten zu generieren, um Investoren im Zielmarkt USA zu einer Serie-A-Finanzierung zu bewegen. Ziel ist ein gemischtes Geschäftsmodell, das Dienstleistungen, Partnering und eine eigene Pipeline umfasst.
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aus Heft 2-2023