Screening auf Familiäre Hypercholesterinämie

Dass ein Screening auf familiäre Hypercholerinämie bereits im Kindesalter sinnvoll ist und Herzinfarkte verhindern kann, verriet Prof. Dr. Heribert Schunkert vom Herzzentrum in München der Redaktion von |transkript. Er liefert mit seinem Fachkommentar einen wichtigen Beitrag zum populistisch kritisierten Gesundes-Herz-Gesetz von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD).

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„Mit dem ‚Gesunden Herz-Gesetz‘ werden die politischen Rahmenbedingungen für die Durchführung eines kindlichen Screenings auf eine genetische Störung im Cholesterinabbau, der Familiären Hypercholesterinämie (FH),  geschaffen. Die meist durch Mutationen im LDL-Rezeptor-Gen bedingte Fettstoffwechselstörung hat unbehandelt eine hohe kardiovaskuläre Mortalität und Morbidität zur Folge. Das ‚Gesunde Herz-Gesetz‘ schafft die Grundlage zur Behandlung der vielen Betroffenen und hilft so, die Herzgesundheit in Deutschland zu verbessern.

Das Herz-Kreislauf-Risiko der FH-Patienten ist erhöht, weil sie im Blut deutlich erhöhte LDL-Cholesterinwerte (LDL-C) haben, da zu wenige oder fehlerhafte  LDL-Rezeptoren das überschüssige Cholesterin in der Leber nicht entfernen. Ein frühzeitige Erkennung der Patienten erlaubt, schwere Folgeerkrankungen (Herzinfarkte und Schlaganfalle) zu verhindern. Dabei nimmt aufgrund der hohen Prävalenz der FH (1:250) und dem individuell sehr hohen Risiko für vorzeitige Herz-Kreislauf-Erkrankungen das Screening für die Familiäre Hypercholesterinämie eine Schlüsselrolle ein. Allein in Deutschland leben mehr als 300.000 Menschen mit FH; die kardiovaskulären Folgeerkrankungen der FH gehören zu den führenden Morbiditäts- und Mortalitätsursachen in Deutschland und führen zu hohen gesundheitsökonomischen Kosten. Die FH kann durch Messung des LDL-Spiegels, kombiniert mit gezielten genetischen Analysen, bei Menschen mit erhöhten LDL-Werten sicher und einfach diagnostiziert werden.

Auf europäischer Ebene herrscht breiter Konsens für die  Durchführung dieses Screening. So wird ein systematisches Programm zur Früherkennung von FH empfohlen, welches auf die präventive Erkennung und Behandlung im Kindesalter abzielt. [1, 2] Die Evidenz beruht auf den gesicherten Zusammenhängen zwischen der pathophysiologischen Entwicklung der Erkrankung und Wirksamkeit einer frühen Therapie. Statine und andere cholesterin-senkende Therapien sind effektiv und sicher, entscheidend ist ein frühzeitiger Therapiebeginn [3, 4, 7, 12].

Das 5. bis 10. Lebensjahr ist dabei der ideale Screeningzeitpunkt (U9). In dieser Lebensphase sind die LDL-Cholesterinwerte vornehmlich genetisch determiniert und werden weniger durch Ernährung oder hormonelle Einflüsse beeinflusst. Damit lässt sich durch einen Pieks in die Fingerbeere aus wenigen Blutstropfen eine FH diagnostizieren, indem zunächst LDL-C bestimmt und – bei deutlich erhöhten Werten – nach einer genetischen Ursache gefahndet wird. Durch die hohe Teilnahmerate an der U9 (98%) kann damit eine flächendeckende Untersuchung gewährleistet werden.

Da die Erkrankung vererbt wird, sind auch immer ein Elternteil beziehungsweise weitere Verwandte betroffen. Ein Kaskadenscreening, das heißt die gezielte genetische Untersuchung von weiteren Familienmitgliedern mit sehr hohen Cholesterinwerten, ermöglicht gleichzeitig die Identifizierung und Behandlung weiterer Betroffener. Durch diese kosteneffektive Strategie kann nach ungefähr 19 Jahren nach Einführung eines FH-Screenings mit einer Detektion aller 50% Betroffenen in einer Population ausgegangen werden. [5]

Unter dem Motto ‚Herzinfarkt mit 35 ohne mich!‘ läuft seit 2020 in Bayern ein erfolgreiches FH-Screening. Unter der Leitung des Deutschen Herzzentrums München konnten im Rahmen der VRONI-Studie über 23.000 Kinder gescreent und dabei 225 Familien mit FH identifiziert und behandelt werden. Die VRONI-Studie zeigt, wie durch interdisziplinäre Zusammenarbeit der beteiligten Fachdisziplinen ein Früherkennungsprogramm auch praktisch erfolgreich umgesetzt werden kann. [6] Erfahrungen aus der VRONI-Studie belegen die breite Akzeptanz seitens der Kinder, Eltern sowie der Kinder- und Jugendärzte und zwar sowohl in Hinblick auf die Blutabnahme und genetischer Testung als auch in Hinblick auf eine Statintherapie ab dem 8. Lebensjahr.

Die hohe Teilnahmerate und die leichtere Erkennung beziehungsweise Behandlung der genetischen Störung im Kindesalter sprechen für eine Implementierung des FH-Screenings zur U9. Zudem sind Kinder in diesem Alter für langfristige gesundheitsfördernde Verhaltensweisen aufgeschlossen. Wir müssen diese Chance nutzen, um die Gesundheit der nächsten Generationen entscheidend zu verbessern und die Prävalenz von Herz-Kreislauf-Erkrankungen langfristig zu reduzieren. Nachdem das Bundesgesundheitsministerium zunächst eine Untersuchung bei der J1 angedacht hatte, wird aufgrund der Erfahrungen bei der VRONI-Studie jetzt auch die U9 als günstiger Zeitpunkt für das FH-Screening angesehen.“

  1. Groselj, U., A. Wiegman, and S.S. Gidding, Screening in children for familial hypercholesterolaemia: start now. Eur Heart J, 2022. 43(34): p. 3209-3212.
  2. Bedlington, N., et al., The time is now: Achieving FH paediatric screening across Europe – The Prague Declaration. GMS Health Innov Technol, 2022. 16: p. Doc04.
  3. Luirink, I.K., et al., 20-Year Follow-up of Statins in Children with Familial Hypercholesterolemia. N Engl J Med, 2019. 381(16): p. 1547-1556.
  4. Wiegman, A., et al., Efficacy and safety of statin therapy in children with familial hypercholesterolemia: a randomized controlled trial. Jama, 2004. 292(3): p. 331-7.
  5. Wald, D.S. and A.C. Martin, Decision to reject screening for familial hypercholesterolaemia is flawed. Arch Dis Child, 2021. 106(6): p. 525-526.
  6. Sanin, V., et al., Population-based screening in children for early diagnosis and treatment of familial hypercholesterolemia: design of the VRONI study. Eur J Public Health, 2022. 32(3): p. 422-428.

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