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Avidity machte es Novartis nicht leicht

Seit dem 24. November ist für jedermann nachlesbar, wie es sich zugetragen hat, dass die Schweizer Novartis zur 10 Mrd.-US-Dollar teuren Übernahme der US-amerikanischen Avidity Biosciences Inc. gelangte. Die sogenannten SEC-Filings an der Börsenaufsicht machen es möglich und zeigen, dass diese Übernahme alles andere als flüssig über die Bühne ging. Vielmehr zeigte Novartis und dort der CEO in Person eine große Hartnäckigkeit, obwohl die Chefin von Avidity das Pokerspiel mehrfach überreizte. Immer höher stiegen die Forderungen, ein Abbruch der Verhandlungen sorgte für eine mehrwöchige Pause. Doch es ging doch weiter, es wurde immer noch ein bisschen teurer und am Ende konnte Avidity wohl auch mit Daten überzeugen.

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Monatelang verhandelte ein aufstrebendes US-Biotech-Unternehmen mit Novartis über eine mögliche Übernahme – ein Prozess, der von steigenden Angebotspreisen, taktischen Rückzügen, parallelen Gesprächen mit Wettbewerbern und wachsendem Zeitdruck geprägt war. Dokumente zeigen, wie sich das vermeintlich schnelle Interesse des Schweizer Pharmakonzerns in ein zähes Hin und Her verwandelte, das zeitweise zu scheitern drohte. Die folgende Chronologie ist aus Sicht des US-Unternehmens verfasst. Über das Ergebnis, den Abschluss der Übernahme, hatte |transkript.de bereits berichtet.

Strategische Ausgangslage: Finanzierungslücke statt Verkaufspläne

Bereits im Frühjahr 2025 befasste sich der Vorstand des Biotech-Unternehmens mit der langfristigen Kapitalplanung. Die Pipeline war breit, aber teuer: Bis 2029 würden rund 1,5 Mrd. US-Dollar zusätzliches Kapital benötigt, um die Entwicklung mehrerer Kandidaten voranzutreiben. Eine Übernahme stand zu diesem Zeitpunkt nicht im Fokus, jedoch hatte man Goldman Sachs beauftragt, um für den Fall eines unerwarteten Übernahmeinteresses vorbereitet zu sein.

Im Juni legte das Unternehmen positive Studiendaten vor und plante für den Herbst einen großen Kapitalmarktdeal. Genau in dieser Phase meldete sich Novartis.

Der erste Vorstoß: Ein überraschendes Angebot

Am 3. Juli 2025 rief Novartis-CEO Vasant Narasimhan die Chefin des Biotech-Unternehmens, Sarah Boyce, an. Er legte ein erstes, unverbindliches Angebot vor: 52 Dollar je Aktie, rund 77 Prozent über Börsenkurs. Der Vorstand des Unternehmens wies das Angebot jedoch zügig zurück. Aus seiner Sicht war der Preis zu niedrig.

Nur sechs Tage später verbesserten die Schweizer ihr Angebot auf 60 Dollar je Aktie. Dennoch: Die Führung des Unternehmens war nicht überzeugt. Sie stimmte lediglich einem Treffen unter Geheimhaltung zu, um Novartis die Logik der eigenen Wachstumspläne zu erläutern.

Das Treffen am 17. Juli verlief sachlich, so wird es in der langen chronologischen Niederschrift der Ereignisse aus der Sicht von Avidity Bio festgehalten, führte jedoch nur zu einem weiteren Schritt: Novartis wollte nun die formelle Due Diligence beginnen. Doch das Unternehmen bremste. Man sei nicht bereit, tiefergehende Unternehmensdaten offenzulegen.

Der erste Wendepunkt: Das 70 Dollar-Angebot und die Forderung nach Exklusivität

Am 22. Juli legte Novartis nach: 70 Dollar je Aktie, rund 10 Mrd. Dollar Bewertung. Der Preis kam an, die Bedingung jedoch weniger: Novartis verlangte vier Wochen Exklusivität, um ungestört prüfen zu können. Der Vorstand sagte Nein und öffnete parallel die Tür für andere Interessenten. Goldman Sachs und Barclays kontaktierten sieben große Branchenunternehmen. Einige zeigten Interesse, andere winkten ab – entweder zu langsam, zu vorsichtig oder nicht bereit, die erwartete hohe Bewertung zu zahlen. Doch damit war die Gerüchteküche angeheizt. Ein Bericht der Financial Times am 6. August über Gespräche zwischen beiden Unternehmen löste einen Kurssprung aus. Das erhöhte den Druck auf Novartis, die Verhandlungen zu beschleunigen, aber auch das Risiko, dass andere Bieter aufspringen könnten.

Parallel liefen die Due-Diligence-Gespräche auf Hochtouren. Novartis arbeitete zwar mit Hochdruck, verlangte aber immer wieder zusätzliche Informationen. Gleichzeitig setzten mehrere potentielle Gegenbieter aus Zeit- oder Bewertungsgründen aus.

Zweiter Wendepunkt: Novartis verzögert – das Unternehmen droht abzuspringen

Bis Mitte August war klar: Wenn der Deal nicht bald besiegelt würde, müsste das Biotech-Unternehmen einen geplanten Milliarden-Kapitalmarktdeal starten. Doch Novartis signalisierte plötzlich, dass man noch Wochen für interne Prüfungen brauche. Boyce machte klar: Ohne zeitnahe Entscheidung werde man nicht weiterverhandeln. Erst daraufhin kündigte Novartis an, bis zum 29. August ein „bestes und finales“ Angebot zu unterbreiten.

Am 29. August kam der Anruf: Novartis sei bereit, den Preis über die 70 Dollar-Marke hinaus zu erhöhen, etwa 72 Dollar standen nun im Raum. Allerdings nur unter einer Bedingung: Der Vertragsabschluss sollte an die vorherige Klärung bestimmter Due-Diligence-Punkte geknüpft werden.

Für das Biotech-Uunternehmen war das ein Dealbreaker. Ein solches „Voraussetzungs-Signing“ hätte das Risiko einseitig auf ihre Seite verschoben. Am selben Tag brach Boyce die Gespräche ab. Der Datenraum wurde geschlossen. Der Vorstand von Avidity beschloss, stattdessen den eigenen Kapitalmarktplan fortzusetzen.

Warum der Deal schließlich doch zustande kam

Nachdem der Verwaltungsrat Ende August beschlossen hatte, die Gespräche mit Novartis zunächst zu beenden und stattdessen eine große Kapitalerhöhung vorzubereiten, nahm die Entwicklung im September und Oktober eine überraschende Wendung. Am 10. September veröffentlichte das US-amerikanische Unternehmen neue positive Ein-Jahres-Daten zu del-zota, die eine deutliche Umkehr der Krankheitsprogression bei der Duchenne Muskeldystrophie (DMD) zeigten. Unmittelbar danach kündigte das Management eine großvolumige Aktienemission an. Die Nachfrage war so hoch, dass das Angebot am 11. September auf 600 Mio. US-Dollar erhöht wurde und letztlich am 15. September sogar 690 Mio. US-Dollar einbrachte. Dieser erfolgreiche Kapitalmarktschritt verbesserte die Verhandlungsposition des Unternehmens erheblich.

Nur wenige Tage später meldete sich Novartis-CEO Narasimhan erneut bei Avidity-CEO Boyce. Am 19. September kündigte er eine überarbeitete, „bestmögliche und finale“ Offerte an – 72 Dollar je Aktie in bar. Zwar knüpfte Novartis das Angebot weiterhin an Due-Diligence-Bedingungen, doch die Gespräche wurden auf Wunsch des Verwaltungsrats wieder aufgenommen. Am 21. September ging die neue Offerte schriftlich ein; kurz darauf öffneten die US-Amerikaner erneut den Datenraum.

Intensive Verhandlungsphase über Struktur, Spin-off und Bedingungen

In den folgenden Wochen arbeiteten beide Seiten nahezu täglich an der Klärung offener Punkte. Ein zentraler Bestandteil war die geplante Abspaltung eines neuen Unternehmens („SpinCo“), in das bestimmte, nicht zum Kerngeschäft gehörende F&E-Programme übertragen werden sollten. Parallel verhandelte man über den Umfang der Vermögenswerte, die Finanzierung von SpinCo, die Übergangs- und Lizenzverträge sowie die Höhe einer möglichen Break-up-Fee.

Zwischen dem 8. und 22. Oktober wurden mehrere Vertragsentwürfe ausgetauscht und nachjustiert. Am 11. Oktober unterzeichneten beide Seiten eine Exklusivitätsvereinbarung, die Verhandlungen bis zum 19. Oktober vorsah. Bis zum 22. Oktober bestätigte Novartis, dass alle Due-Diligence-Fragen geklärt seien.

Verwaltungsrat stimmt dem Deal zu

Am 22. und am 24. Oktober prüfte der Verwaltungsrat die nahezu finalen Vertragsdokumente. Die Finanzberater Goldman Sachs und Barclays bestätigten in ihren Fairness Opinions, dass das Angebot für die Aktionäre finanziell angemessen sei. Nach Abwägung aller Argumente – einschließlich der möglichen Risiken – stimmte der Verwaltungsrat schließlich einstimmig dafür. Am 25. Oktober unterzeichneten beide Parteien den Fusionsvertrag sowie die begleitenden Vereinbarungen zur Abspaltung und Lizenzierung. Am 26. Oktober gaben das Unternehmen und Novartis den Abschluss der Transaktion offiziell bekannt. Der Gesamtwert der Firmenübernahme belief sich nun auf über 12,3 Mrd. US-Dollar, und auch die US-Börsenaufsicht hat etwas davon: nämlich Anspruch auf eine Gebühr von fast 2 Mio. US-Dollar.

*inspiriert durch eine Story bei BioSpace

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