Nobelpreise für miRNA und Proteinstrukturen

Den diesjährigen Nobelpreis für Medizin oder Physiologie teilen sich die US-Forscher Victor Ambros (71) und Gary Ruvkun (72) für die Entdeckung der microRNA. Der Nobelpreis für Chemie geht zur Hälfte an den US-Amerikaner David Baker (62) für das computergestützte Design völlig neuer Proteine, zur anderen Hälfte an Demis Hassabis (48) und John M. Jumper (39) von der Google-Tochter DeepMind für die KI-unterstützte Vorhersage der Proteinfaltung aus der Aminosäuresequenz.

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Mit den diesjährigen, mit je 950.000 Euro dotierten Nobelpreisen hat das Nobelkomitee in Stockholm revolutionäre Grundlagenforschung prämiert, deren Ergebnisse bereits Einzug in die klinische Arzneimittelforschung halten. Nicht weniger als eine „neue Dimension der Genregulation“ nennt die Jury in ihrer Laudatio die Entdeckung der ersten regulatorischen microRNAs durch den Entwicklungsbiologen Victor Ambros (University of Massachusetts Medical School, Worcester) und den Genetiker Gary Ruvkun (Massachusetts General Hospital und Harvard Medical School, Boston). MicroRNAs bieten heute therapeutische Angriffspunkte für Herzinsuffizienz, Krebs oder Stoffwechseldefekte.

Die Entdeckung der microRNAs widerlegte den damals gängigen Glaubenssatz, dass Gene nur durch Proteine reguliert werden können. Zu dieser Zeit waren Ambros und Ruvkun beide als Post-Docs im Labor von Medizin-Nobelpreisträger Robert Horvitz am Massachusetts Institute of Technology (MIT) tätig und untersuchten zwei mutierte Gene des Fadenwurms Caenorhabditis elegans. Ambros bewies, dass das lin-4-Gen die Aktivität von lin-14 hemmt und nicht etwa ein Protein kodiert, sondern eine gerade einmal 22 Nukleotide lange microRNA. Wie Ruvkun erkannte, bindet diese über einen Antisense-Mechanismus an die lin-14-mRNA und blockiert so deren Translation. Ihre 1993 veröffentlichten Ergebnisse fanden anfangs wenig Beachtung, was sich mit der Entdeckung der hochkonservierten microRNA let-7 in Ruvkuns Labor schlagartig änderte. Wie sich zeigte, existiert der neuentdeckte universelle Mechanismus seit mehr als 500 Millionen Jahren in allen mehrzelligen Organismen.

Auch den Nobelpreis für Chemie wertet das Nobelkomitee als einen Meilenstein beim rasanten Einzug der Künstlichen Intelligenz (KI) in die Forschung und Arzneimittelentwicklung. David Baker (University of Washington und Howard Hughes Medical Institute) ermöglichte die schnelle und zuverlässige Vorhersage von Proteinstrukturen mit Hilfe von KI-Algorithmen als Alternative zu aufwendigen Methoden wie Röntgenstrukturanalysen. Sein Rosetta-Algorithmus konnte erstmals bereits bekannte 3D-Proteinstrukturen vorhersagen. Indem Baker die Software umgekehrt die passende Aminosäuresequenz zu einer gewünschten Struktur vorhersagen ließ, konnte er eine ganze Palette völlig neuartiger Proteine entwerfen. Die frei verfügbare Version Rosetta@home macht theoretisch jedermann zum Proteindesigner. Das De-novo-Design von Proteinen, ergänzt durch KI, ermöglicht nahezu unbegrenzte Neukreationen – auch für die Entwicklung innovativer Therapien.

Den Grundstein für die exakte Vorhersage der Proteinfaltung legten der Brite Demis Hassabis und der US-Amerikaner John M. Jumper. Der Neurowissenschaftler, Schachspieler und frühere Computerspiel-Entwickler Hassabis gründete erst sein eigenes Entwicklungsstudio und später DeepMind Technologies in London, das 2014 für rund 400 Mio. US-Dollar an Google Health ging. Dort trainierte er das KI-Modell AlphaFold mit einer riesigen Protein-Datenbank und entwickelte zusammen mit dem späteren DeepMind-Direktor Jumper den beeindruckenden Nachfolger AlphaFold2, der vergleichbar genaue Proteinstrukturen wie die Röntgenstrukturanalyse lieferte. Damit waren die beiden KI-Forscher prinzipiell in der Lage, die Struktur aller bekannten Einzelproteine vorherzusagen. Seither verwenden Millionen von Benutzern weltweit das frei zugängliche KI-Modell, um das Spektrum von Proteinstrukturen zu erweitern. In Kombination mit Bakers Forschung wird nun sogar die Simulation von Protein-Interaktionen und somit das Design von Biologika möglich, die bereits von Unternehmen angeboten werden.

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