
Sepsis – nicht-invasive Frühdiagnose per Hautmessung
Mediziner der Uniklinik und des Deutschen Krebsforschungszentrums Heidelberg haben ein nichtinvasives Verfahren etabliert, das bei Hinzuziehen klinischer Daten eine systemisch werdende Blutvergiftung (Sepsis) infolge einer Infektion mit fast 100%iger Sicherheit erkennt. Das Verfahren erfasst entzündungsbedingte Veränderungen der Haut mit einer hyperspektralen Kamera und analysiert diese mit Hilfe Künstlicher Intelligenz.
Ihre Früherkennungsmethode für Sepsis testeten die Erfinder des Verfahrens um Prof. Dr. Markus Weigand von der Uniklinik Heidelberg an 480 hospitalisierten Risikopatienten. Es handelte sich dabei um die größte Untersuchung der hyperspektralen Bildgebung überhaupt. Die Visualisierung der entzündungsbedingten Veränderung der Mikroblutgefäße anhand des mit einer Hyperspektralkamera detektierten Wellenlängenspektrums der Mikrovaskulatur der Haut funktionierte am besten in einem Hautareal des Handtellers. Anschließend analysierten die Mediziner die Daten mit einem neuentwickelten Deep-Learning-Algorithmus. Sie erhielten Sepsisdiagnosen mit einer hohen Sicherheit (AUC = 0,80. AUC = 1 entspricht hundertprozentiger Sicherheit, AUC = 0,5 reinem Zufall), die nur knapp unter jener der leistungsstärksten Labortests zur Sepsisfrüherkennung liegt. Die 30-Tage-Sepsismortalität sagte ihr Test mit einer AUC von 0,72 vorher.
Die Durchblutung winziger Kapillargefäße ändert sich bereits unmerklich, wenn proinflammatorische Zytokine die Blutgefäße durchlässiger machen, weit bevor erste Sepsissymptome wie Blutdruckabfall und Organversagen auftreten. Sie wird auch mit Wet-Lab-Diagnosetests wie dem BioADM-Test des Biotech-Unternehmens Sphingotec GmbH (Hennigsdorf) mit guter Sicherheit erfasst (AUC: 0,76–0,84).
Bezogen die Heidelberger Wissenschaftler neben der hyperspektralen Bildgebung zusätzlich klinische Daten ein, verbesserte sich der AUC-Wert ihres schnellen, nichtinvasiven Verfahrens zur Sepsisfrüherkennung auf 0,94 – gab also fast 100%ige Sicherheit – und für die 30-Tage-Sterblichkeit auf 0,83. Allerdings legten sie noch keine Werte zur Zahl der falschpositiv oder falschnegativ diagnostizierten Patienten vor.
Ziel ist es, die automatisierte Technologie kosteneffizient im Routineeinsatz nutzbar zu machen. Die Stärken ihrer Technologie sehen die Forscher in ihrer Objektivität, Nichtinvasivität, Kosteneffizienz und Schnelligkeit. Daher wird sie als Screening-Werkzeug für alle kritisch Kranken vorgeschlagen. Die Hersteller hyperspektraler Kameras wie imec (Leuven, Belgien) und HAIC (Hannover, Deutschland) konzentrieren sich derzeit auf die Entwicklung kompakter Echtzeit-HSI-Geräte und den Ausbau der Produktion, um eine kostengünstige Massenverfügbarkeit zu gewährleisten.
Die Autoren räumen ein, dass ihr Verfahren allein nicht genau genug für eine gesicherte Diagnose ist, halten es jedoch als Vorscreening-Werkzeug geeignet, um Patienten zu identifizieren, die überwacht werden sollten. Sie sehen auch, dass das leitlinienbezogene Einbeziehen zusätzlicher klinischer Daten arbeitsintensiv ist. Deshalb sollen die klinischen Parameter auf wenige aussagekräftige beschränkt werden.
Da die für die prospektive Studie genutzten Daten aus einer einzigen chirurgischen Intensivstation in Deutschland stammen, sollen die interhospitale Reproduzierbarkeit und Robustheit der Daten in Folgestudien geklärt werden. Unlängst hatten US-amerikanische Wissenschaftler berichtet, dass eine Sepsis auch für jeden zehnten zuvor kerngesunden Menschen lebensgefährlich sein kann.
Die Sepsis gehört mit geschätzten 48,9 Millionen Fällen pro Jahr zu den weltweit häufigsten Erkrankungen. Auch in Deutschland erkranken nach Schätzungen des Institute for Health Metrics and Evaluation jedes Jahr etwa 279.000 Menschen an einer Sepsis. Jede zehnte auf einer Intensivstation behandelte Person hat eine Sepsis, die jede dritte nicht überlebt.