LISAvienna, Ludwig Schedl

Lernen von den Besten

Wie lassen sich Digital-Health-Lösungen und IVDs auf den Markt bringen? Neben den Leistungsmerkmalen und der Finanzierung der Entwicklung spielt das Meistern der regulatorischen Anforderungen eine zentrale Rolle. Erfolgsbeispiele aus Wien zeigen wie's geht. Präsentiert wurden sie auf der LISAvienna-Konferenz.

Am 17. Oktober trafen sich Top-Experten aus der Medizinprodukte- und In-vitro-Diagnostika-Branche bei der siebten LISAvienna Regulatory Konferenz in Wien. Philipp Hainzl und Johannes Sarx, Geschäftsführer der Wiener Life Sciences Clusterplattform LISAvienna, zeigten sich zufrieden: „Die Veranstaltung übertraf alle unsere Erwartungen. Gemeinsam mit mehr als 40 Vortragenden durften wir rund 400 Interessierte im Apothekertrakt in Schönbrunn mit den neuesten Informationen versorgen. Wir freuen uns, dass es in Zusammenarbeit mit en.co.tec und LISA – Life Science Austria gelungen ist, die Konferenz wieder kostenlos anzubieten. Dadurch hatten Start-ups und KMUs eine niederschwellige Option, sich mit dem aktuellen Stand bei den rechtlichen Anforderungen an den Markteintritt vertraut zu machen.“

AI Mission Austria
Aus dem Digital-Health-Sektor sind datengetrieben lernende Software und KI-Anwendungen nicht mehr wegzudenken. Hermann Stern vom Know-Center in Graz fasste auf der Konferenz die Wettbewerbsvorteile für Unternehmen und die mit KI verbundenen Herausforderungen zusammen: KI und Data Science können entscheidend zu bahnbrechenden Innovationen und Fortschritt beitragen – allerdings nur, wenn sie vertrauenswürdig gestaltet sind. Dazu müssen Stabilität, Sicherheit, Transparenz, Fairness, Datenschutz, Verantwortlichkeit sowie der soziale und ökologische Nutzen bei der Gestaltung bedacht werden. Die Implementierung der Kriterien für vertrauenswürdige KIs steht immer noch am Anfang. Zur Unterstützung der Unternehmen bietet die Austria Wirtschaftsservice Beratung und Finanzierung. Über die Förderinitiative AI Mission Austria wird beim Aufbau von Wissen, bei F&E und dem Einsatz von KI geholfen.

Algorithmen, Deep Learning und KI
2016 begann die Erfolgsgeschichte von contextflow. Das Spin-off der Medizinischen Universität Wien, der Technischen Universität Wien und des europäischen Forschungsprojekts Khresmoi entwickelt Algorithmen, die mit Hilfe von Deep-Learning-Modellen die Diagnose und Quantifizierung in radiologischen Bildern unterstützen. Die Software analysiert CT-Aufnahmen und unterstützt zum Beispiel bei der Früherkennung und Behandlung von Krebs oder der Beurteilung von interstitiellen Lungenerkrankungen. 2023 sagte der European Innovation Council Accelerator eine Finanzierung für die Weiterentwicklung der Produkte des Spin-offs zu. Markus Holzer, Geschäftsführer von contextflow, betont: „Neuartige KI-basierte Medizinprodukte integriert in einen komplexen medizinischen Arbeitsablauf auf den Markt zu bringen, ist eine ganz spezielle Herausforderung. Die MDR stellt hier die Sicherheit und den Mehrwert des Medizinprodukts für die Patienten sicher. Die Diversität von Patientenpopulationen und verschiedene Infrastrukturen (Radiologische Diagnosezentren, Krankenhäuser und Universitätskliniken) bedeuten im Detail allerdings leicht unterschiedliche Anforderungen an die KI und die Einbindung in den Workflow. Der EU AI Act bietet hier eine gute Struktur, um einen etwaigen Bias in den Daten sichtbar zu machen und diesem entgegenzuwirken.“ Start-ups rät Holzer, von Anfang an mit wissenschaftlicher Gründlichkeit an der Entwicklung von KI-Medizinprodukten zu arbeiten und die Komplexität der klinischen Entscheidungspfade immer im Hinterkopf zu haben.

Röntgenbilder in der heutigen Zeit
ImageBiopsy Lab entwickelt KI-gestützte Lösungen zur Digitalisierung der muskuloskelettalen Diagnostik. Auf Basis von Röntgenbildern liefert die innovative Software des Wiener Unternehmens quantitative und standardisierte Berichte über krankheitsrelevante Parameter und Messungen, egal ob Knie, Hüfte, Hand oder Wirbelsäule betroffen sind. Auch Frakturen können automatisch erkannt werden. Zuletzt wurde ein MDR CE-zertifiziertes Produkt zur Diagnose von Skoliose auf den Markt gebracht, das Arbeitsabläufe rationalisiert, Zeit spart und mögliche Messfehler reduziert. Geschäftsführer Richard Ljuhar: „Wir verfolgen das Ziel, die gesamte muskuloskelettale Bildgebung zu digitalisieren. Die unterschiedlichen Module liefern objektive und standardisierte Messergebnisse, welche Diagnostik und Prädiktion von Knochen- und Gelenkserkrankungen ermöglichen bzw. unterstützen. Damit unsere erstklassigen Lösungen in der Praxis eingesetzt werden können, durchlaufen wir aufwendige Zertifizierungsprozesse.“ Start-ups aus der Branche rät er: „Kennen und verstehen Sie möglichst genau, was Ihre Kunden im Gesundheitssystem bewegt und schaffen Sie mit Ihrem Wissen gemeinsam einen echten Mehrwert für Patienten – das ist zentral für eine erfolgreiche Produktinnovation.“

Digitale Orientierung für Patienten
XUND hat sich auf die Entwicklung von KI-gestützten, digitalen Lösungen im Gesundheitswesen spezialisiert. Kernprodukt ist eine Patient Interaction Suite, die es Gesundheitsdienstleistern ermöglicht, die Patient Journey zu digitalisieren und Patientendaten in verwertbares Wissen zu übersetzen. Co-Founder Lukas Seper berichtet dazu: „Aktuell bieten wir zwei Module an, den Symptom Check und den Illness Check. Diese erlauben eine Symptom- und Krankheitsbewertung und geben eine zuverlässige Ersteinschätzung, damit Patienten die richtigen nächsten Schritte setzen können. Zwei weitere Module befinden sich in der Entwicklungspipeline.“ Führende Versicherungen, Krankenhäuser und Pharmaunternehmen verwenden die Technologie von XUND bereits. „Aktuell bieten wir unsere Lösung in sieben europäischen Sprachen an, wobei stetig neue ergänzt werden. Dieses Jahr konnten wir unsere Technologie auch Patienten in der Elfenbeinküste zugänglich machen. Wir verhandeln mit vier weiteren afrikanischen Ländern und arbeiten an der Zulassung für den amerikanischen Markt“, so Seper. Die Technologie von XUND wurde als eine der ersten als Medizinprodukt der Klasse IIa gemäß der EU-MDR zertifiziert – eine schwierige Aufgabe laut Sophie Pingitzer, Head of Quality and Regulatory Affairs bei XUND. „Zu diesem Zeitpunkt war die Regelung noch sehr neu und warf viele Unklarheiten auf, auch auf Seite der Benannten Stelle. Das Aufsetzen eines passenden Qualitätsmanagementsystems (QMS) entwickelte sich dadurch zu einer echten Herausforderung.“ Start-ups rät Lukas Seper, frühzeitig ein QMS aufzubauen und sich Zeit für Vernetzung und Erfahrungsaustausch zu nehmen: „Expertise, ausreichende Ressourcen und Kollaboration sind im Gesundheitsbereich entscheidend. Die Komplexität in unserem Segment erfordert die Zusammenarbeit verschiedener, teilweise konkurrierender Akteure. Initiativen wie die Health Pioneers oder die Open Health Alliance, Acceleratoren und internationale Fachveranstaltungen helfen am Weg zum Erfolg.“

DiGA in Österreich
Dem Thema DiGA in Österreich war bei der LISAvienna-Konferenz ein eigenes Seminar gewidmet, das von der AUSTROMED, Österreichs Interessensvertretung der Medizinprodukte-Unternehmen, organisiert wurde. Nach Einblicken in die rechtlichen Rahmenbedingungen rund um digitale Gesundheitsanwendungen in Österreich diskutierte ein hochkarätig besetztes Podium, welche Schritte für den politisch beauftragten strukturierten Marktzugang noch zu leisten sind. Mit „edupression“, einem Therapieprogramm bei Depression, ist SOFY als einziges österreichisches Unternehmen im DiGA-Verzeichnis des deutschen BfArM gelistet. Insgesamt befanden sich darin Anfang Oktober 49 vorläufig oder dauerhaft aufgenommene Produkte. SOFY-Geschäftsführer Daniel Amann merkt an: „Derzeit sehen wir besonders Deutschland als relevanten Markt, weil edupression dort als DiGA von Ärzten und Psychotherapeuten verschreibbar und erstattungsfähig ist. In Österreich haben wir insbesondere mit der Krankenfürsorgeanstalt der Bediensteten der Stadt Wien einen strategischen Partner. Der Aufbau des Vertriebs in Deutschland gestaltet sich aus Österreich heraus nicht immer ganz einfach. Wir setzen dazu auf Partnerschaften mit etablierten Spielern im Markt. Für eine Zulassung als DiGA sind umfangreiche regulatorische Voraussetzungen zu erfüllen. In weiten Bereichen ist der Prozess analog zu einer Medikamentenzulassung – Stichwort „digitale Pille“. Die größte Herausforderung ist daher der lange Zeitraum von der Entwicklung bis zum Markt. Wir haben Anfang Juli unsere klinischen Studien erfolgreich fertiggestellt und mit Ende August den Antrag zur permanenten Zulassung in Deutschland beim BfArM eingereicht, welche wir für Ende des Jahres anstreben. Dadurch ist uns dann auch der Weg in weitere erstattungsfähige Länder offen.“ Christine Stadler-Häbich von Roche setzt sich im AUSTROMED-Vorstand für die Weiterentwicklung im Bereich Digitalisierung des Gesundheitssystem in Österreich ein und fasst die aktuelle Situation und die Zukunftspläne wie folgt zusammen: „Der politische Wille, DiGA in die Regelversorgung zu bringen, ist da. Der Digital Austria Act und der Ministerratsbeschluss vom Juli dieses Jahres untermauern dieses Vorhaben. Die aktuelle Rechtslage lässt weitgehend auch die Verschreibung von DiGA zu und mit ELGA ist auch eine gute Infrastruktur gegeben. Nun liegt es an den Systempartnern, rasch einen kollaborativen Prozess aufzusetzen, der technische und datenschutzrechtliche Aspekte berücksichtigt und eine adäquate Finanzierung sicherstellt. Daran wird noch sehr individuell gearbeitet, dennoch bin ich zuversichtlich, dass mit weiterer Vertiefung der Zusammenarbeit aller Systempartner, Patienten auch in Österreich bald schon DiGA und deren Mehrwert im Behandlungsverlauf nutzen können.“

Benannte Stelle für IVDR legte los
QMD Services-Geschäftsführerin Anni Koubek: „QMD Services erhielt nach mehr als dreijähriger Vorbereitungszeit am 23.12.2022 die Zulassung als europäische Konformitätsbewertungsstelle nach der In-vitro-Diagnostika-Verordnung. Dadurch kann QMD Services dazu beitragen, den eklatanten Mangel an Kapazitäten für Konformitätsbewertungen in Österreich und Europa abzumildern.“ Laut NANDO-Liste sind inzwischen elf Organisationen für die IVDR notifiziert. Für die MDR sind 39 Stellen benannt, der Antrag von QMD Services wird derzeit von der zuständigen Behörde bearbeitet. Ermöglicht wurde der Aufbau dieser Benannten Stelle durch die Unterstützung von Quality Austria und das Engagement der Bundesländer Wien, Oberösterreich, Niederösterreich, Steiermark und Tirol. Zum Kundenkreis zählt unter anderen MacroArray Diagnostics, kurz MADx. Das Wiener Unternehmen bietet intuitive Komplettlösungen für die molekulare Allergiediagnostik an – seit kurzem in IVDR-zertifizierter Form. Als Head of Quality Management & Regulatory Affairs bei MADx weiß Birgit Wahlmüller, worauf es ankommt: „Die IVDR-Zertifizierung ist ein aufwendiges und ressourcenintensives, aber sehr lohnendes Projekt. Essentiell für den reibungslosen Ablauf und die professionelle Zusammenarbeit war das persönliche Kennenlernen der involvierten Teams der Benannten Stelle und uns als Hersteller. Zu den Herausforderungen zählte, dass es aufgrund der Neuheit der Regularien noch keine Angaben über den Detailgrad der einzureichenden Dokumente gab. Das macht es für Hersteller nicht ganz einfach, die gewünschte Information zur Verfügung zu stellen.“

Allergiediagnostik am Puls der Zeit
MacroArray Diagnostics deckt die gesamte Kette vom Testmaterial über Analyse und Auswertung bis zur Unterstützung bei der Ergebnisinterpretation ab. Der Allergietest ALEX² zeichnet sich durch den großen Umfang an getesteten Allergenen aus – es sind bis zu 300. Mit 178 molekularen Allergenen in einem Test ist MADx sogar weltweit die Nummer 1. Durch CCD-Blocking werden falsch-positive Ergebnisse automatisch herausgefiltert. Auch Birgit Wahlmüller hat Tipps für Start-ups parat: „Aus regulatorischer Sicht ist es wichtig, eine qualifizierte verantwortliche Person mit Erfahrung frühzeitig fürs Unternehmen zu gewinnen. Diese Expertise wird dafür sorgen, dass Produktentwicklung und Leistungsbewertungsstudien unter den aus regulatorischer Sicht notwendigen Rahmenbedingungen ablaufen. Zusätzlich ist es von Vorteil, ein QMS nach ISO 13485 zu implementieren. Läuft dieses stabil, ist die Registrierung bedeutend einfacher. Außerdem ist das ISO-Zertifikat in vielen Ländern verpflichtend. Zuallererst müssen sich Start-ups aber darüber im Klaren werden, was sie insgesamt mittel- und langfristig erreichen wollen. Die Frage ist, welche Nische möchte man besetzen, wie groß ist der Markt, welche Geschäftsmöglichkeiten gibt es und möchte man ein Produkt international ausrollen oder sich auf ein kleines Segment konzentrieren.“

Wohin die Reise geht
Innovationsökosysteme verändern sich laufend. Inzwischen beheimatet Wien nicht nur eine eigene EIT-Health-Kontaktstelle, sondern mit dem Future Health Lab eine vom öffentlichen Gesundheitswesen forcierte Innovationseinheit. Diese wurde als Partnerschaft zwischen dem Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, der Österreichischen Gesundheitskasse, der Wirtschaftsagentur Wien und dem Impact Hub ins Leben gerufen. Ziel ist, digitale Lösungen für die Herausforderungen im Gesundheitssystem zu optimieren und in die Nutzung zu bringen. Im ersten Schritt liegt der Fokus auf einer verbesserten Leitung der Patientenströme. LISAvienna stellt für das Future Health Lab Kontakt zu Wiener Life-Sciences-Unternehmen her. Im kommenden Jahr wird Wien von 22. bis 24. Mai Austragungsort des MedTech Forums. Auch Gemeinschaftsstände auf der BIO-Europe Spring in Barcelona und der BIO-Europe in Stockholm sind wieder geplant, um die Sichtbarkeit und die Netzwerkaktivitäten der österreichischen Life-Sciences-Unternehmen zu fördern. Der diesjährige LISA-Auftritt bei der BIO-Europe in München spricht mit 60 Unternehmen eine klare Sprache. 2024 sind in Wien außerdem Meilensteine bei der Errichtung des Onkologie-Forschungszentrums von Boehringer Ingelheim, bei den erweiterten Produktionsanlagen von Octapharma und beim neuen Labor der Zukunft von Takeda abzusehen. Open-Innovation-Initiativen, in die sich 2023 auch Roche eingeklinkt hat, werden fortgesetzt.

Kontakt
LISAvienna | office@LISAvienna.at
Johannes Sarx und Philipp Hainzl
www.LISAvienna.at

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