Neuer Antikörper gegen Alzheimer – aber ist er auch besser?

Zu dem im Juni 2021 in den USA zugelassenen ersten Anti-Amyloid-Antikörper Aducanumab (Aduhelm) von Biogen, dessen Datenlage nicht alle Experten überzeugte, folgte Anfang 2023 die Zulassung von Lecanemab (Leqembi) aus der Kooperation von Biogen und Eisai, die allgemein als wirklicher Beweis gewertet wurde, dass die Entfernung der Beta-Amyloide den Verlauf der Alzheimererkrankung positiv beeinflussen kann. Nun dürfte als dritte Zulassung ein weiterer gegen das ß-Amyloid gerichteter Antikörper folgen: Donanemab von Eli Lilly – ein Türöffner auch für die Alzheimer-Projekte aus Deutschland und der Schweiz?

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Der Antikörper Donanemab, der Beta-Amyloid-Ablagerungen im Gehirn beseitigt, hat in einer zulassungsrelevanten Phase III-Studie das Fortschreiten der Symptome einer frühen Alzheimer-Erkrankung verlangsamt und bei einigen Patienten sogar vorübergehend gestoppt. Dies gab der Hersteller Eli Lilly bekannt. Nach mehreren Fehlschlägen mit anderen Antikörpern, die bei Experten bereits grundsätzliche Zweifel am Nutzen einer Anti-Amyloid-Therapie geweckt hatten, häufen sich nun die positiven Studienergebnisse zu diesem Ansatz. Nach einer ersten Einschätzung könnte die Wirkung von Donanemab sogar stärker sein als die des in den USA bereits zugelassenen Antikörpers Lecanemab. Allerdings traten in der Studie auch häufiger schwere Komplikationen auf, sogar mit Todesfolge.

An der internationalen Studie TRAILBLAZER-ALZ 2 hatten 1.736 Patienten an 282 Zentren (ohne deutsche Beteiligung) teilgenommen, bei denen seit mindestens sechs Monaten eine progrediente Verschlechterung der Gedächtnisfunktionen aufgetreten war. Einschlusskriterium war ein MMSE-Wert zwischen 20 und 28 Punkten. Damit wurden sowohl Personen mit minimalen kognitiven Einschränkungen (MMSE 24-28) als auch Patienten im Frühstadium einer Demenz (MMSE 20-23) eingeschlossen. Bei allen Patienten wurde eine Positronen-Emissions-Tomographie mit 18F-Flortaucipir, einem Marker für Tau-Proteine im Gehirn, durchgeführt. Die Ablagerung von Tau-Proteinen ist neben den Beta-Amyloiden das zweite histologische Merkmal der Alzheimer-Krankheit.

Die Ergebnisse der TRAILBLAZER-ALZ-Studie der Phase II waren bereits sehr vielversprechend, da dort eine starke Verringerung der Amyloid-Beta-Plaques durch die gezielte Bekämpfung von PyroGlu-Abeta (auch N3pE-Abeta genannt, einer besonders neurotoxischen Form des Abeta-Amyloids) den kognitiven Abbau in einer kleineren Patientengruppe verlangsamte. Angesichts der positiven Ergebnisse der Phase II-Studie kamen die Veröffentlichung der positiven Daten für die Phase III-Studie und die Bestätigung, dass Donanemab in der Lage sei, Amyloid-Plaques bei früher symptomatischer Alzheimer-Krankheit zu reduzieren, nicht unerwartet. Dennoch sind die Ergebnisse sehr wichtig, denn nach dem positiven Ergebnis und der anschließenden beschleunigten Zulassung von Biogen/Eisais Lecanemab Ende 2022, ist dies eine zweite Validierung für Abeta und betont die Relevanz von beiden Abeta-Subspezien – PyroGlu-Abeta und Abeta-Oligomeren (Donanemab -> PyroGlu-Abeta; Lecanemab -> Abeta-Oligomere). Beide Phase III-Studien zu Donanemab und Lecanemab zeigen auch, dass Abeta-PET als quantitativer Biomarker zur raschen Bewertung des Potentials von Anti-Abeta-Immunotherapien eingesetzt werden kann.

Bei der diagnostischen Stratifizierung der Teilnehmer der aktuellen Phase III-Studie von Eli Lilly wurde eine weitere Proteinablagerung im Gehirn herangezogen: sie wurden nach der Menge der Tau-Ablagerungen in zwei Gruppen eingeteilt: 1.182 hatten eine mittlere Menge an Tau-Ablagerungen, bei 552 Patienten wurden hohe Tau-Ablagerungen festgestellt. Primärer Endpunkt der Studie war die Begutachtung nach dem „integrated Alzheimer’s Disease Rating Scale“ (iADRS), die Veränderungen der kognitiven Leistungsfähigkeit (im „AD Assessment Scale-Cognitive Subscale“, ADAS-Cog) misst, und zusätzlich die Beurteilung von Fähigkeiten im täglichen Leben (im „AD Cooperative Study – Instrumental Activities of Daily Living“, ADCS-iADL) kombiniert berücksichtigt.

Hier kam es laut Eli Lilly bei Patienten mit einem mittleren Ausmaß an Tau-Ablagerungen zu einer signifikanten Verlangsamung des Rückgangs der kognitiven Leistungsfähigkeit um 35% innerhalb von 18 Monaten, das heißt der Zustand der Patienten verschlechterte sich in der Donanemab-Gruppe im Verlauf der 76-wöchigen Behandlungsdauer, in der die Patienten alle vier Wochen eine intravenöse Infusion erhielten, weniger stark als in der Placebo-Gruppe.

Eine andere Untersuchungsmethode wird als „Clinical Dementia Rating-Sum of Boxes“ (CDR-SB) bezeichnet. Sie umfasst die sechs Bereiche Gedächtnis, Orientierung, Urteilsvermögen, soziale Aktivitäten, häusliche Hobbys und Selbstversorgung. Hier zeigte sich in der Donanemab-Gruppe bei Patienten mit einem mittleren Ausmaß der Tau-Ablagerungen eine um 36% langsamere Verschlechterung. Bei 47% der Teilnehmer in der Donanemab-Gruppe (gegenüber 29% in der Placebo-Gruppe) kam es im ersten Jahr der Behandlung im CDR-SB zu keiner Verschlechterung.

Bei den 552 Patienten mit hohen Tau-Ablagerungen waren die Ergebnisse offenbar etwas schlechter. Der Hersteller macht hierzu jedoch noch keine genauen Angaben und verweist auf eine noch ausstehende wissenschaftliche Publikation beziehungsweise auf eine Kongresspräsentation. In der Gesamtgruppe aller 1.736 Teilnehmer verlangsamte sich der CDR-SB in der Donanemab-Gruppe daher im Gesamtdurchschnitt um 29% und der iADRS um 22% im Vergleich zu Placebo.

Die Ergebnisse scheinen also zumindest in der Gruppe mit mittlerem Tau-Ablagerungsgrad günstiger zu sein als für Lecanemab. Dieser Wirkstoff verlangsamte dort den kognitiven Abbau um 27% gegenüber 36% bei Donanemab, jedoch warnen viele Experten davor, die beiden Studien und ihre Ergebnisse auf die Prozentpunkte genau miteinander zu vergleichen, da Behandlungsschemata von Studie zu Studie variieren.

Dies gilt auch für die Komplikationen, denn diese bessere Wirkung wurde durch eine Zunahme der teilweise schweren Nebenwirkungen erkauft. Beim Abbau der Beta-Amyloide kann es zu lokalen Ödemen (ARIA-E) oder Blutungen (ARIA-H) kommen, die in der Kernspintomographie sichtbar werden (ARIA steht für „amyloid-related imaging abnormalities“, E für Ödem und H für Hämosiderose). Bei Donanemab wiesen 24% der Patienten Hirnschwellungen (ARIA-E) auf, 6,1% verspürten Symptome wie Benommenheit oder Kopfschmerzen. Fast ein Drittel der mit Donanemab behandelten Studienteilnehmer hatte zudem kleine Hirnblutungen (diese verlaufen in der Regel glimpflich). Schwere Nebenwirkungen hatten 1,6% der Probanden zu beklagen. Zwei Patienten starben daran, der Tod eines dritten wird noch abgeklärt. In der Clarity AD gab es keine Todesfälle durch ARIA. Erst Mitte März hatten Forscher in der Zeitschrift Neurology vor den Folgen der Antikörperbehandlung im Gehirn gewarnt, da die – wenn auch vorübergehende – Schwellung mit ihren Langzeitauswirkungen einer Gehirnschrumpfung noch nicht eingehend genug auf die realen Folgen für die Patienten untersucht worden sei.

Einige Experten sind nun vom deutlichen Rückgang der Plaque-Level beeindruckt, der bei 71% der Teilnehmer erreicht wurde. Dass der CDR-SB bei 47% der Teilnehmer über ein Jahr gehalten werden konnte, zeige, dass Donanemab dem Antikörper Lecanemab „weit überlegen“ sei.

Entwicklungsprojekte in Deutschland und der Schweiz

Ins selbe Horn stößt auch die deutsche Firma Vivoryon (Halle (Saale), München), die aus der früheren Probiodrug hervorgegangen ist und mit einem small molecule ebenfalls das N3pE-Abeta attackiert. „Die Auswertung der Donanemab-Daten ist von großem Interesse für uns und unseren Lead-Kandidaten Varoglutamstat. Das Konzept, die hochgradig neurotoxische Abeta-Spezies N3pE zur Behandlung von Alzheimer zu bekämpfen, scheint durch die positiven Daten zur Wirksamkeit eine robuste klinische Validierung zu erfahren – dies legten auch die bisherigen Daten zu Sicherheit und Wirksamkeit von Varoglutamstat nahe“, sagte Michael Schaeffer, Vivoryon-CBO, gegenüber |transkript.de. Er sieht den eigenen Ansatz im Vorteil: „Varoglutamstat greift durch Hemmung des Enzyms QPCT bereits früher als Donanemab in die pathologische Kaskade ein, indem es die Bildung von N3pE-Abeta verhindert, anstatt es zu neutralisieren. Da N3pE-Abeta in allen Abeta Formen vom Monomer über Oligomere bis hin zu Plaques vorkommt, ist die Wirkungsweise von Varoglutamstat nicht auf einen bestimmten Polymerisationsgrad beschränkt. Ein weiterer interessanter Aspekt ist, dass die Behandlung mit Donanemab abgesetzt wird, sobald der Abeta-Spiegel unter einen bestimmten Schwellenwert gesunken ist. Da wir nicht davon ausgehen, dass die Patienten zu diesem Zeitpunkt geheilt sind, könnte Varoglutamstat möglicherweise auch eine attraktive Option für eine effiziente Erhaltungstherapie von mit Donanemab vorbehandelten Patienten sein.“

Als oral einzunehmendes Medikament brauche es zudem zur Verabreichung von Varoglutamstat keine spezielle Infrastruktur mit entsprechend höheren Kosten für eine infusionsbasierte Verabreichung – sondern die Einnahme der Tabletten erfolgt in für die Patienten gewohnter Umgebung zu Hause. Das Sicherheitsprofil habe sich in umfangreichen klinischen Nachweisen als sehr günstig herausgestellt, ein erhöhtes Risiko für ARIA (Amyloid-related imaging abnormalities) ist nicht erkennbar. Dies wiederum spart zusätzliche Kosten, da keine Notwendigkeit einer MRT-Überwachung zur Minderung des ARIA-Risikos (insbesondere in den ersten Monaten der Behandlung) bestehe.

Auch Andrea Pfeifer von der Schweizer AC immune fühlt sich bestätigt. „Für unseren Anti-Abeta-Impfstoff ACI-24.060, der gleichzeitig Pyroglu-Abeta und lösliche Abeta-Oligomere anvisiert, die beide von Donanemab bzw. Lecanemab angezielt werden, sind dies äußerst ermutigende Ergebnisse. ACI-24.060 macht in der Phase-2-Entwicklung gute Fortschritte und hat sich bereits als sicher erwiesen, und gleichzeitig eine starke Antikörperreaktion gegen diese beiden toxischen Formen produziert. Wir freuen uns auf die Abeta-PET-Analysen in der ersten Hälfte des Jahres 2024, um die Auswirkungen von ACI-24.060 auf die Amyloid-Plaques zu bewerten.“ Sie sieht vor allem die Entwickler insgesamt gestärkt, da nun die Diskussionen um die Amyloid-Hypothese beendet werden könnten und damit die Zurückhaltung der Investoren überwunden werden könne:  „Für kleinere Unternehmen der Branche wie AC Immune, die die nächste Generation von Alzheimer-Therapien entwickeln, werden diese Daten, insbesondere die Verwendung von Biomarkern wie z. B. der Amyloid-PET-Bildgebung, die die Entwicklung und hoffentlich auch die Verfügbarkeit beider Medikamente für Patienten beschleunigen kann, die Tür zu einem größeren Interesse von Pharmaunternehmen und der Investorengemeinschaft öffnen,“ sagte sie zu |trankript.de.

Einen eigenen Weg verfolgt die Düsseldorfer Priavoid GmbH, die nicht nur als SPRIN-D-gefördertes Sprunginnovationsvorhaben neben den Privatinvestoren auch eine quasi amtlich-öffentliche Risikoförderung erhalten hat, sondern auch der eigenen Theorie folgt, dass das ß-Amyloid ein prionenähnliches Infektionsvehikel sei und damit nicht nur die Plaquablagerung das Ziel einer Therapie sein müsse, sondern auch ganz generell die Entstehung der toxischen Oligomere. Dazu wurde eine Substanz entdeckt und nun auch klinisch entwickelt, die diese Oligomere destabilisiert und damit sowohl vorhandene Oligomerablagerungen auflöst wie die Neubildung einzudämmen verspricht.

Philipp Bürling, CEO von Priavoid, kommentiert den Erfolg von Eli Lilly überschwänglich: „Eine Modifikation des Krankheitsverlaufes bei der Alzheimererkrankung im Frühstadium ist möglich. Ab jetzt geht es darum, die Wirksamkeit und die Sicherheit der Behandlung zu erhöhen, sowie die Nebenwirkungen und die Kosten zu senken. Deshalb können wir es auch kaum erwarten, dass unser Wirkstoff PRI-002 in Kürze in Phase II startet, denn er hat aus unserer Sicht das Potential die Wirksamkeit der Antikörper-basierten Therapien zu übertreffen, verbunden mit weniger Nebenwirkungen. PRI-002 neutralisiert neurotoxische A-beta-Oligomere bzw. löst diese auf, wodurch die im Rahmen der Alzheimererkrankung beeinträchtigte synaptische Funktion unmittelbar verbessert werden könnte.“ Ähnlich den anderen Projekten wird auf das bessere Risikoprofil verwiesen: „Aufgrund des innovativen Wirkmechanismus von PRI-002, ohne die Aktivierung des Immunsystems, erwarten wir ein gegenüber der Therapie mit Antikörpern deutlich vorteilhafteres Risikoprofil. PRI-002 ist darüber hinaus oral verfügbar, was hinsichtlich der Handhabbarkeit und Anwendung durch den Patienten ein nicht zu überschätzender Faktor ist“, so Bürling zu |transkript.de.

Der Türöffner, den viele schon bei Aduhelm von Biogen gekommen sahen und der dann ob der Datenlage und unerfreulicher Begleitumstände bei der FDA-Zulassungsbehörde enttäuschte – er könnte nun mit Donanembab für Alzheimerpatienten, aber auch das große Feld der Therapeutikaentwickler einen neuen Schub bringen.

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