Vfa fordert Technologiesouveränität in Biotechnologie
"In keinem der analysierten Technologiefelder erreicht Deutschland eine international führende Wettbewerbsposition. Die Positionierung ist überwiegend durchschnittlich“, konstatiert die detaillierte Analyse von Innovationskraft im Pharmasektor und koppelt diesen mit der Diskussion über Abhängigkeiten. Der vfa sendet damit ein Alarmzeichen, da in seinen Augen Nichtstun den Abstand nur noch vergrößern werde.
Auf 122 Seiten hat das Fraunhofer Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) im Auftrag des Verbandes forschender Arzneimittelhersteller (vfa) die Pharmabranche auf ihre globalisierten Stoffkreisläufe und Lieferabhängigkeiten hin untersuchen lassen und dabei auch die Innovationskraft im Ländervergleich unter die Lupe genommen.
Demnach habe „Deutschland gute Voraussetzungen, als innovationsstarker und hochproduktiver Pharmastandort eine weltweit führende Rolle einzunehmen“, ist eine der aus der Untersuchung abgeleiteten Feststellungen. Allerdings haben Länder wie die USA und China bei der Entwicklung wichtiger Schlüsseltechnologien ein deutlich höheres Tempo vorgelegt als Deutschland und hohe Summen in ihre technologischen Kapazitäten investiert. Deutschland drohe daher, den Anschluss an die Weltspitze zu verlieren, wenn die Rahmenbedingungen nicht deutlich verbessert würden, ist der rote Faden, der sich durch die Studie „Technologische Souveränität Pharma/Biotech – Studie zur Wettbewerbsfähigkeit und technologischen Souveränität Deutschlands im Pharmasektor“ zieht.
In der sehr detaillierten Analyse der Fraunhofer-Forscher wird auch deutlich, dass die Innovationskraft (etwa als Ausdruck von wissenschaftlichen Publikationen und Patentanmeldungen) erst mit einer großen technologischen Souveränität bei den zur Umsetzung notwendigen Komponenten oder Technologien in Wirtschaftskraft und Zukunftsfähigkeit mündet: Deutschland sei aber in den fünf näher untersuchten Technologiefeldern Gen-/Zelltherapien, RNA-Technologien, Biologika, Small Molecules und Impfstoffe nicht ausreichend souverän aufgestellt, so das Fazit der Analyse. „In keinem der analysierten Technologiefelder erreicht Deutschland eine international führende Wettbewerbsposition. Die Positionierung ist überwiegend durchschnittlich“, heißt es in dem Bericht. Deutschland könne in keinem der betrachteten Technologiefelder „wirksam Handlungsautonomie entfalten und Märkte zukunftsorientiert gestalten“, so die Autoren. „Wir dürfen bei der Versorgung der Bevölkerung nicht erpressbar werden und müssen sicherstellen, dass uns die Schlüsseltechnologien von morgen jederzeit zur Verfügung stehen“, forderte daher vfa-Präsident Han Steutel.
Die in den genannten fünf technologischen Schwerpunktfeldern aufgeführten Detailanalysen laden zu Interpretationen ein. So wird Deutschland zwar meist eine in Europa mindestens führende oder im oberen Spitzenfeld liegende Position bei wissenschaftlichen Publikationen in diesen Feldern bescheinigt, teilweise ist damit auch noch gegenüber einzelnen internationalen Wettbewerbern wie Japan ein Gleichstand zu erzielen. Doch im weltweiten Vergleich mit den USA und den wie ein Schnellzug anbrausenden oder schon vorbeigezogenen Chinesen tut sich Deutschland, tut sich ganz Europa schwer mitzuhalten. Was für die Publikationen gilt, gilt für den Bereich Patente noch deutlicher. Hier zeigt sich jedoch eine Schwäche der Analyse, auf Quantität statt auf Qualität zu setzen. Wie sich in den gerade anhängigen weltweiten Gerichtsprozessen um die mRNA zeigt, geht es beispielsweise in diesem Feld nicht um die Anzahl, sondern alleine um die Qualität des erteilten Patentes und seines Umgriffs auf ein Technologiefeld. Hier mit Zahlen und kompliziert errechneten Indizes in Proportion zu Bevölkerung und der technologischen Bedeutung innerhalb einer Nation zu hantieren, verschleiert mehr als dass die deutsche Innovationspolitik ein neues Fundament erhielte. Es braucht offensichtlich im globalen Wettbewerb umfassendere Patentstrategien in neuen Technologiefeldern, die auch als Staatsräson begriffen werden müssen, was zu einer besseren finanziellen Ausstattung der wissenschaftlichen Einrichtungen auch bei Patentfragen führen sollte.
Han Steutel muss berufsmäßig als Verbandspräsident den warnenden Zeigefinger heben, er mahnt nach der durchaus lesenwerten Analyse: „Die Ergebnisse der Fraunhofer-Studie zeigen eindrucksvoll, dass wir uns in Deutschland nicht auf unseren Lorbeeren ausruhen können: Noch haben wir in den Spitzentechnologien Tuchfühlung. Aber das wird sich sehr schnell ändern, wenn wir jetzt nicht gegensteuern.“ Hoffnung setzt er in die Nationale Pharmastrategie, die zumindest das Signal sende, die Politik habe die Herausforderung realisiert.