Genetische Untersuchung verspricht Nutzen

Ein Kaskadenscreening verspricht endlich eine rechtzeitige Diagnose der zu Herzinfarkten und Schlaganfällen führenden familiären Hypercholesterinämie (FH) und damit Behandlung von Risikopatienten. Zu diesem Schluss kommen das IQWiG und Wissenschaftler der Herzallianz.

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Derzeit wird die durch eine Mutation im LDL-Rezeptorgen, Apo-B-100- oderPCSK-9-Gen bedingte Familiäre Hypercholesterinämie (FH), die bei den 300.000 Betroffenen in Deutschland sehr oft zu Herzinfarkten und Schlaganfällen in frühem Lebensalter führen, nur in 1% der Fälle rechtzeitig diagnostiziert.  Aus dem Fehlen oder des Dysfunktion der LDL-Rezeptoren resultieren erhöhte LDL-Cholesterinwerte, da überschüssiges Cholesterin nicht in der Leber abgebaut wird, die dauerhaft erhöhten Cholesterinwerte aber die kardiovaskuläre Mortalität, etwa durch Herzinfarkte oder Schlaganfälle, deutlich erhöhen.

Nun hat das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IGWiG) empfohlen, ein Kaskadenscreening für die dominant vererbte Erberkrankung durchzuführen. Das heißt, es wird gezielt in Familien nach dem Gendefekt gescreent, die bereits betroffen sind, was die Kosten des Screenings gegenüber einem bevölkerungsweiten Screening senken hilft. Kardiologen der Herzallianz empfehlen dies bereits seit längerem: „Würde die Empfehlung optimal umgesetzt, wäre dies ein Riesenfortschritt gegenüber der aktuellen Situation bei der Bekämpfung der Komplikationen dieser genetisch bedingten Erkrankung“, so Dr. Veronika Sanin, die Leiterin der in Bayern begonnenen und auf die Länder Niedersachsen, Bremen und Hamburg ausgeweiteten VRONI-Studie aus dem Team um Prof. Dr. Heribert Schunkert, vom Herzzentrum München. Im Rahmen der Studie wurden bis heute 22.000 Kinder im Rahmen der U9-Untersuchung, also im Alter zwischen 5 und 14 Jahren, auf die Mutation gescreent und 55% der 255 identifizierten Hochrisikopatienten bereits mit Statinen behandelt; bei weiteren 15% ist eine Behandlung geplant.

Kritisch ist laut Schunkert indes der Zeitpunkt des im geplanten Gesundes-Herz-Gesetz geplanten Screenings. „Mehrere Gründe sprechen für ein Screening im Rahmen der U9-Untersuchung“, so Schunkert. Erstens, sei gegenüber dem Gesundheits-Check-den, rund 40% der 35-44-Jährigen in Anspruch nehmen, die Teilnahmerate bei der U9 mit 98% deutliich höher, sprich: es werden mehr Risikopatienten erkannt.

Zweitens überlappen in der höheren Alterstufe hormonelle und andere exogene Faktoren, die zu einem hohen LDL-Cholesterinspiegel führen, den Einfluss der Mutation. Konkret bedeutet das: Um die gleiche Zahl genetisch Betroffener zu identifizieren, müssen mehr erwachsene Personen sequenziert werden, was die Kosteneffektivität schmälert.

Drittens könne laut Schunkert und Sanin durch ein FH-Screening bei der U9 mit anschließendem Kaskadenscreening bereits 19 Jahre nach Einführung mit einer Detektion von 50% aller in einer Population genetisch Betroffener gerechnet werden. Das sich dadurch die Zahl der kardiovaskulären Komplikationen im Alter von 35 bis 50 Jahren um 75% reduzieren lassen, haben Studien in Ländern wie den Niederlanden und Großbritannien gezeigt, die entsprechende Screenings bereits länger durchführen. „Nach einer Generation Getesteter ist davon auszugehen, dass der Großteil der diagnostizierten FH-Patienten seinerseits Kinder bekommen hat und alle Risikopatienten durch Kaskadenscreening erkannt worden sind,“ so Schunkert und Sanin gegenüber LABORWELT.

Viertens, meinen die Kardiologen, dass eine frühe Diagnose und Therapie eine bessere Prävention ermöglicht, da die Diagnose während der Latenz und vor Manifestation atherosklerotischer und kardiovaskulärer Folgeerkrankungen gestellt wird.

Als fünftes Argument für ein Screening im Rahmen der U9-Untersuchung führen Sanin und Schunkert an, dass die Akzeptanz des Screenings sehr hoch sei. Immerhin 98 % der Eltern befürworten nach Daten der VRONI-Studie ein Screening auf Familiäre Hypercholesterinämie inklusive genetischer Testung und würden ihr Kind auch im Falle einer Diagnose medikamentös behandeln lassen.

Ähnlich scheint des das vom Gemeinsamen Bundesausschuss G-BA beauftragte IGWiG den Nutzen eines Kaskadenscreenings und der Option einer Statintherapie zu sehen, deren Nutzen in den Niederlanden bereits belegt wurde. Noch vor einem Monat hatte ein ehemaliger Leiter des Instituts bei der erhitzten Diskussion über einen entsprechenden Gesetzentwurf, diesen als „völlig gaga“ bezeichnet. Die wissenschaftlichen Fakten ermöglich nun ein rationales und wirtschaftliches Vorgehen bei der Prävention der familiären Hypercholesterinämie. Die zunächst von Bundesgesundheitsminister Lauterbach angepeilte Vorstellung des Gesetzes durch das Kabinett am 21. August 2024 hat sich durch die Nutzenbewertung etwas nach hinten verschoben. Angesichts der Faktenlage und des auch in anderen Ländern bereits nachgewiesenen Nutzens wird es für lautstarke Kritiker des Gesetzes, auch im Bundestag, nun schwierig, rationale Argumente dagegen zu finden.

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