Biotech neben Fußball – Mainz plant auf der grünen Wiese

Die Stadt Mainz will in zehn Jahren zu den weltweit erfolgreichen Biotechnologie-Standorten gehören. Laut einer gerade veröffentlichten Studie des Beratungsunternehmens Deloitte ist sie dafür geeignet. Die Studie sieht in der Stadt ein Potenzial für 5.000 neue Arbeitsplätze. Doch es gibt auch Kritik am Tempo der Stadtentwicklungsplanung.

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Der Mainzer Biotechnologie-Ausbau nimmt immer mehr Fahrt auf. Und es ist die Stadt selbst, die möglichst schnell Tatsachen schaffen will. Schon in den nächsten Wochen soll um die Hochschule Mainz herum – auf etwa 18 Hektar Fläche – ein innovativer Biotech-Campus erschlossen werden, auf dem sogenannten „Hochschulerweiterungsgelände“. Der Campus soll als Leuchtturm ausstrahlen auf die Umgebung, in der die Stadt weitere 50 Hektar Ausbaufläche verfolgt (insgesamt also 70 Hektar). Das Unternehmen Biontech selbst baut zudem weiter in Zentrumsnähe in großem Stil auf dem Gelände der GfZ-Kaserne in Hechtsheim.

Während das Land Rheinland-Pfalz das Beratungsunternehmen Roland Berger mit einer Potential- und Strategiestudie beauftragt hat (die erst im nächsten Jahr publiziert werden soll), legt die Stadt Mainz nun bereits ihre eigene Untersuchung vor, die das Beratungsunternehmen Deloitte zur weiteren Entwicklung des Biotechnologie-Standorts Mainz erarbeitet hat. Oberbürgermeister Ebling begründet dies: „Wir müssen das Momentum durch Biontech an dieser Stelle nutzen“.

Dies bekräftige die Ambitionen der Stadt, in den kommenden zehn Jahren zu einem international erfolgreichen Biotechnologie-Standort zu wachsen. Gemeinsam mit Deloitte, der ZBM, dem Land und den Biotech-Akteuren will man einen „Cluster“ entwickeln, eine neue Arbeitsgruppe dazu schaffen und dabei auch das Profil des Technologiezentrums Mainz (TZM) als Start-Up-Schmiede schärfen. Dazu soll eine eigene Förderung von Start-ups entwickelt werden, mit dem Ziel der Entwicklung von Leuchtturmprojekten, um internationale Talente sowie kleine und mittlere Unternehmen (KMUs) nach Mainz zu holen.

Herzstück für die Entwicklung des Ganzen soll nun ein „Biotechnologie-Campus“ sein, der auf einer gebogenen Achse bis auf die Felder vor der Stadt reicht, und eher wie ein „Biotech-Bumerang“ angelegt scheint – ein Flächenentwicklungs- und Vergabekonzept wird derzeit erstellt und auch in öffentlichen Anhörungen mit der Bevölkerung diskutiert.

Prof. Dr. Georg Krausch, Koordinator des Landes Rheinland-Pfalz für Biotechnologie, bemüht sich, die unterschiedlichen Planungsaktivitäten zu sortieren: „Als Landeskoordinator für Biotechnologie begrüße ich die Bedarfsstudie der Stadt und unterstütze weiterhin aktiv die Verzahnung mit der Biotechnologie-Studie des Landes Rheinland-Pfalz. Mit der jüngst ins Leben gerufenen Biotech-Akademie stärkt das Land die akademische Ausbildung und die berufliche Weiterbildung im Bereich der Biotechnologie in ganz Rheinland-Pfalz. Wir wollen mit dem Standort in Mainz und den einhergehenden Innovationen beispielsweise im Bereich der Krebs- und Alternsforschung maßgeblich dazu beitragen, die Biotechnologie zur Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts zu machen.“

Die Erschließungsarbeiten der bisher landwirtschaftlich genutzten Flächen werden laut Auskunft der Stadtverwaltung in den nächsten Wochen starten. Darüber hinaus stehen im Anschluss perspektivisch bis zu 50 Hektar für späteres Wachstum und Ansiedlungen zur Verfügung: „Selbstverständlich spiegeln sich die Ambitionen nicht nur in Geschwindigkeit und Größe des Projektes wider, sondern auch im Anspruch an eine nachhaltige Flächenentwicklung“, so OB Ebling. Dabei gibt es durchaus auch kritische Stimmen, und einigen Anwohnern scheint das Tempo gar zu hoch, was sich in den öffentlichen Anhörungen artikuliert. So wird einerseits eine Diskussion über die klimatischen Auswirkungen einer weiteren Versiegelung der landwirtschaftlichen Flächen für den Stadtkern geführt (Stichwort: Kaltluftschneisen), die man vor Jahren an fast gleicher Stelle beim Bau des Fußballstadions des FSV Mainz 05 schon einmal geführt und für beherrschbar erklärt hatte. Doch auch der Feldhamster (Cricetus cricetus) – mit einer wohl deutschlandweit einzigartigen Population direkt auf den Feldern im Planungszielradar – hat sich mit Hilfe einschlägiger Naturschutzverbände in Stellung gebracht, und droht das Vorhaben zumindest deutlich zu verlangsamen. Immerhin steht er auf der Roten Liste der besonders bedrohten Arten. Alle öffentlichen Amtsträger werden daher nicht müde zu betonen, dass die Themen Nachhaltigkeit und Klimafolgen der Baumaßnahmen im Zentrum der gesamten Planungen stünden.

Baumaßnahmen gibt es in der Nähe schon reichlich, etwa an der Saarstraße nahe der Hochschule Mainz: Hier soll im Sommer der Startschuss für die Erschließung des „Innovationsparks Mainz“ fallen. Die Projektentwickler arbeiten laut Angaben der Mainzer Lokalpresse an konkreten Plänen für ein erstes Labor- und Bürogebäude. Im August soll der Bauantrag eingereicht werden, um die Nachfrage potenzieller Ansiedlungsinteressenten zeitnah befriedigen zu können. Auch das Mainzer Gesundheitsamt wird dorthin ziehen. Pharma-, Biotech-, Life Science-Firmen sowie weitere innovationsgetriebene Unternehmen und Forschungsinstitute sind die Zielgruppe der Investoren des Bauprojektes, die erkannt haben, dass für ein Cluster die räumliche Nähe der Akteure elementar ist.

Am wenige Meter entfernten Mainzer Kisselberg hat sich so ein Pharmaunternehmen bereits angekündigt. Das dänische Unternehmen Novo Nordisk wird 2023 seine Deutschlandzentrale dort, vom Mainzer (ZDF-)Lerchenberg kommend, beziehen.

©|transkript.de/gkä

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