Nobelpreis für Physiologie und Medizin an Paläogenetiker Svante Pääbo

Für "seine Entdeckungen über die Genome ausgestorbener Homininen und die menschliche Evolution" verleiht das Nobelpreiskomittee den diesjährigen Preis für "Physiologie und Medizin" an den Schweden Svante Pääbo,  der seit Ende der 90er Jahre in Leipzig forscht und dort das Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie mitbegründet hat.

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Der 1955 in Stockholm geborene Svante Pääbo sorgte 1985 für erstes Aufsehen, als er DNA-Fragmente aus einer ägyptischen Mumie analysieren konnte. Damit begründete er den Zweig der genetischen Archäologie und lieferte bahnbrechende Forschungen mit ersten Teilsequenzen und schließlich der Sequenzierung des kompletten Genoms des Neandertalers. In weiteren Isolaten aus Knochenfunden gelang ihm und seinem Team die sensationelle Entdeckung eines bisher unbekannten Homininen, Denisova. Über Vergleiche der Sequenzen zeigte sich, dass ein Gentransfer von diesen inzwischen ausgestorbenen Homininen auf den Homo sapiens stattgefunden haben muss, nachdem sie vor etwa 70 000 Jahren aus Afrika ausgewandert waren. Dieser uralte Genfluss auf den heutigen Menschen ist auch heute physiologisch relevant, da er zum Beispiel die Reaktion unseres Immunsystems auf Infektionen beeinflusst.

Pääbos Forschungen führten zur Entstehung einer völlig neuen wissenschaftlichen Disziplin: der Paläogenomik. Durch die Aufdeckung genetischer Unterschiede, die alle lebenden Menschen von ausgestorbenen Homininen unterscheiden, bilden seine Entdeckungen die Grundlage für die Erforschung der genetischen Ausprägungen heutiger Menschen.

Im Jahr 1990 wurde Pääbo an die Universität München berufen, wo er als neu ernannter Professor seine Arbeit an archaischer DNA am dortigen Zoologischen Institut fortsetzte. Für jüngere Leser muss man wohl hinzufügen, dass die PCR-Technologie erst in dieser Zeit erfunden wurde und erst dabei war, zur Standardtechnologie in den Laboren zu werden. Pääbo hatte die im Nachinein sehr gute Idee, die DNA von Neandertaler-Mitochondrien zu analysieren – Organellen in Zellen, die ihre eigene DNA enthalten. Das mitochondriale Genom ist klein und enthält nur einen Bruchteil der genetischen Information in der Zelle, aber es ist in Tausenden von Kopien vorhanden, was die Erfolgsaussichten erhöht. Mit seinen verfeinerten Methoden gelang es Pääbo, einen Bereich der mitochondrialen DNA aus einem 40.000 Jahre alten Knochenstück zu sequenzieren. Damit hatte er zum ersten Mal Zugang zu einer Sequenz von einem ausgestorbenen Verwandten. Vergleiche mit heutigen Menschen und Schimpansen zeigten, dass der Neandertaler genetisch anders war.

Da die Analysen des kleinen mitochondrialen Genoms nur begrenzte Informationen lieferten, nahm Pääbo nun die enorme Herausforderung an, das Kerngenom des Neandertalers zu sequenzieren. Zu dieser Zeit bot sich ihm die Möglichkeit, ein Max-Planck-Institut in Leipzig aufzubauen. Am neuen Institut verbesserten Pääbo und sein Team kontinuierlich die Methoden zur Isolierung und Analyse von DNA aus archaischen Knochenresten. Das Forschungsteam nutzte neue technische Entwicklungen, die die Sequenzierung von DNA sehr effizient machten. Pääbo engagierte mehrere wichtige Mitarbeiter mit Fachwissen über Populationsgenetik und fortgeschrittene Sequenzanalysen. Seine Bemühungen waren erfolgreich und er und sein Team konnten 2010 die erste Genomsequenz des Neandertalers veröffentlichen. Vergleichende Analysen zeigten, dass der jüngste gemeinsame Vorfahre von Neandertaler und Homo sapiens vor etwa 800.000 Jahren lebte.

Pääbo und seine Mitarbeiter konnten nun die Beziehung zwischen Neandertalern und modernen Menschen aus verschiedenen Teilen der Welt untersuchen. Vergleichende Analysen zeigten, dass die DNA-Sequenzen von Neandertalern den Sequenzen von heutigen Menschen aus Europa oder Asien ähnlicher waren als denen von heutigen Menschen aus Afrika. Dies bedeutet, dass sich Neandertaler und Homo sapiens während ihrer jahrtausendelangen Koexistenz gekreuzt haben. Beim heutigen Menschen europäischer oder asiatischer Abstammung stammen etwa 1–4% des Genoms von den Neandertalern.

Im Jahr 2008 wurde in der Denisova-Höhle im Süden Sibiriens ein 40.000 Jahre altes Fragment eines Fingerknochens entdeckt. Der Knochen enthielt außergewöhnlich gut erhaltene DNA, die das Team um Pääbo sequenzierte. Auch die Ergebnisse sorgten für Aufsehen: Die DNA-Sequenz war im Vergleich zu allen bekannten Sequenzen von Neandertalern und heutigen Menschen einzigartig. Pääbo hatte einen bisher unbekannten Homininen entdeckt, der den Namen Denisova erhielt. Vergleiche mit Sequenzen von heutigen Menschen aus verschiedenen Teilen der Welt zeigten, dass es auch zwischen Denisova und Homo sapiens einen Genfluss gegeben hatte. Diese Verwandtschaft wurde erstmals in Populationen in Melanesien und anderen Teilen Südostasiens festgestellt, wo Individuen bis zu 6 % Denisova-DNA tragen.

Die Entdeckungen von Pääbo haben zu einem neuen Verständnis der menschlichen Evolutionsgeschichte geführt. Zu der Zeit, als der Homo sapiens aus Afrika auswanderte, lebten mindestens zwei ausgestorbene Homininenpopulationen in Eurasien. Die Neandertaler lebten im Westen Eurasiens, während die Denisovaner die östlichen Teile des Kontinents bevölkerten. Während der Ausbreitung des Homo sapiens außerhalb Afrikas und seiner Wanderung nach Osten stieß er nicht nur auf Neandertaler, sondern auch auf Denisovaner und kreuzte sich mit ihnen (siehe Abbildung).

Welche Bedeutung die Paläogenomik auf heutige Ereignisse haben kann, zeigen genetische Untersuchungen zu COVID-19 und besondere Anfälligkeiten oder Immunitäten aufgrund von bestimmten Genvarianten, die noch aus der Neandertalerzeit stammen. Sehr gut ist dies am Ende eines Artikels im Ärzteblatt beschrieben.

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