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Novartis schreibt Morphosys-Deal ab

Novartis feiert ein erfolgreiches drittes Quartal und hebt die Jahresprognose um einige Prozentpunkte an. Der Freudentaumel der Schweizer beruht auf einer Pipeline, die mit Blockbustern gut gefüllt scheint, und einem Jahresergebnis der Umsatzerlöse, das mit um die 50 Mrd. US-Dollar konservativ geschätzt ein niedriges zweistelliges Wachstum verspricht. Untergehen könnte dabei fast, dass der einstige eigene Hoffnungsträger XXB750 in der klinischen Phase gestoppt wurde und dass der Kauf der Münchner Morphosys AG mit dem Wirkstoff Pelabresib nun als millionenschwere „Abschreibung“ in den Büchern steht.

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Die Morphosys AG aus dem Münchner Biotechnologie Cluster mit Gründungssitz zuerst in Martinsried, später in der Muttergemeinde Planegg selbst, ist Geschichte. Die Übernahme durch die Schweizer Novartis AG im Januar dieses Jahres für 2,7 Mrd. US-Dollar und das spätere Streichen der Börsennotiz setzten ein Stoppschild auf den über 30-jährigen Entwicklungspfad des Unternehmens, das viele Jahre als Leuchtturm der Region, aber auch der deutschen Biotechnologieszene insgesamt angesehen wurde.

Das durch die Akquisition der US-Firma Constellation Pharmaceuticals hereingeholte Small molecule Pelabresib in der Indikation Mylofibrose hatte die Münchner selbst eine runde Milliarde US-Dollar gekostet. Das viele Geld war mit dem Verkauf von erwarteten Erlösen (Royalties) aus einem Psoriasis-Antikörper, den Partner Johnson&Johnson durch die Zulassung und auf den Markt gebracht hatte (Tremfya), sowie dem einzigen selbstvermarkteten Antikörper Monjuvi aufgebracht worden und hatte das einstige Antikörper-Flaggschiff sich radikal von alten Wurzeln trennen und alle weitere Hoffnung auf die Wirkstoffe der US-Amerikaner setzen lassen.

Alles auf eine Karte

Um Geld zu sparen, setzte der neue CEO Jean-Paul Kress einen strengen Sparkurs durch, schloss die präklinische Entwicklung, entließ die in den USA im Aufbau befindliche Vertriebsmannschaft für Monjuvi und in Martinsried gut 70 Mitarbeiter und besorgte sich weiteres Geld durch Kapitalmaßnahmen an der Börse. Dem Aktienkurs tat das alles nicht gut. Zu oft hatten die Branchenkenner schon Firmen auf ein einziges Pferd im Stall setzen und dies krachend scheitern sehen. Von über 100 Euro je Aktie zu Beginn des Jahres 2020 war das Biotech-Papier in den folgenden drei Jahren auf rund 15 Euro abgeschmiert. Doch 2023 kehrte die Hoffnung stückchenweise für Morphosys zurück, da zum Jahresende die Daten aus der zulassungsrelevanten Studie für Pelabresib vorgelegt werden sollten.

Als diese im Herbst vorgestellt wurden, zeigte sich ein sehr gemischtes Echo auf die Ergebnisse. Zuerst wurde das Erreichen des primären Endpunktes gefeiert, doch kurz darauf entspann sich eine Diskussion um den nicht signifikant erreichten sekundären Endpunkt sowie das Auftreten von unerwünschten Nebenwirkungen. Statt eines Freudensprungs machte der Börsenkurs einen neuerlichen Tauchgang. Erst mit Verzögerung kam es zur vom Unternehmen kommunikativ massiv betriebenen Umkehr der Einschätzung, dass der Wirkstoff doch ein Kandidat für eine Zulassung sein würde. Dies war wohl nicht ganz uneigennützig. Bereits seit Sommer 2023 scheinen Gespräche mit der Schweizer Novartis AG intensiviert worden zu sein, ob dieser Wirkstoff nicht die Pipeline in Basel ergänzen könnte. Während Novartis wohl anfangs nur diesen Wirkstoff selbst zu einem bereits zugelassenen Medikament aus dem eigenen Hause für diese Indikation stellen wollte, bestand Kress und sein Führungsteam darauf, dass in einem Deal die gesamte Morphosys AG übernommen werden müsste. Ganz oder gar nicht.

Der Börsenkurs bewegte sich zum Jahreswechsel 2023/24 etwas über 30 Euro. Das Angebot von Novartis, Morphosys für 68 Euro je Aktie und insgesamt rund 2,7 Mrd. US-Dollar zu übernehmen, sah für alle Aktionäre aus dieser Zeit wie eine willkommene Verdoppelung aus. Eigentlich hatte sich das mit seiner Antikörper-Entwicklungsplattform als Wirkstoffzulieferer durchaus erfolgreiche Unternehmen seit 2014 meist deutlich über 50 Euro bewegt, doch der Milliardenverkauf wurde landläufig in vielen Branchenreports als Erfolg und guter Deal für die Aktionäre der Morphosys angesehen.

Unerwartete Verzögerung

Bereits im späteren Frühjahr dieses Jahres waberten jedoch erste Gerüchte durch die Szene, dass die erwartete, fast sicher geglaubte Zulassung von Pelabresib eine Verzögerung erfährt. Die FDA habe sich nicht so schnell überzeugen lassen, die Daten müssten noch tiefer analysiert werden, eine schnelle Zulassung innerhalb weniger Wochen oder Monate sei damit vom Tisch. Auffällig im ersten Halbjahr war zudem, dass auf der letzten Morphosys-Hauptversammlung  unter Leitung des interimistischen neuen CEO Heinrich Moisa (Leiter der Novartis Deutschland GmbH) Ex-CEO Jean-Paul Kress, der Morphosys im Juni verlassen hatte, sowie einem weiteren Vorstandsmitglied die Entlastung für die Geschäftstätigkeit 2023 vom jetzigen Mehrheitsaktionär verweigert wurde. War damals bereits klar, dass die klinische Entwicklung von Pelabresib alles andere als optimal verlaufen ist?

Mit der jetzigen schmallippigen Information von Novartis im Umfeld der Quartalszahlen ist wenig gesagt: „Nach der Überprüfung der 48-Wochen-Daten aus der Phase-III-Studie MANIFEST-2 durch Novartis ist eine längere Nachbeobachtungszeit erforderlich, um in Absprache mit den Gesundheitsbehörden den Zulassungsweg für Pelabresib bei Myelofibrose zu bestimmen. Wir werden die Patienten der MANIFEST-2-Studie weiter beobachten und das Potential für zusätzliche Studien zur Unterstützung der Zulassung bewerten. Die 48-Wochen-Daten werden auf einem bevorstehenden medizinischen Kongress vorgestellt.“

Das Branchenmagazin EndpointsNews hat dazu den Abschreibungsbetrag von rund 800 Mio. US-Dollar im laufenden Geschäftsjahr ausgemacht. Dieser dürfte sich im kommenden Jahr weiter erhöhen, wenn die Entwicklung des Wirkstoffes womöglich ganz eingestellt wird. Bedenken gibt es wohl hinsichtlich neu auftretender bösartiger Erkrankungen im Verlauf der klinischen Studie. Über solche neu auftretenden bösartigen Erkrankungen bei Patienten, die mit Pelabresib behandelt wurden, hatte STAT-News Anfang des Jahres berichtet und damit ein erstes Fragezeichen hinter die Firmenakquisition gesetzt. „Novartis wird sich die Daten im Laufe des nächsten Jahres ansehen und den potentiellen Bedarf an zusätzlichen Studien beurteilen“, sagte CEO Vas Narasimhan während der Telefonkonferenz mit den Medien zum dritten Quartal.

Eine schnelle Zulassung ist damit nicht mehr zu erwarten. Ob Novartis die Mühen eines kompletten Neustarts auf sich nehmen wird, bleibt abzuwarten. Fragen bleiben dabei – auch auf mehrfache Nachfrage bei Novartis durch |transkript – unbeantwortet, warum die ursprüngliche Bewertung von Pelabresib durch Novartis die klinischen Daten nicht genauer unter die Lupe genommen hatte. Der Morphosys-Gründer Simon Moroney sitzt im Novartis-Aufsichtsrat, was noch aus der Zeit stammt, als die Antikörperschmiede aus Martinsried ein strategischer Zulieferer und Forschungspartner der Schweizer gewesen ist. Schwer vorstellbar, dass Moroney überhaupt involviert war und zudem ein Fürsprecher eines Small molecules gewesen sein sollte, das er aus der Ferne nicht näher beurteilen konnte.

Fragen zur Übernahme

Eher wahrscheinlich, dass Jean-Paul Kress geschickt den Druck auf Novartis erhöht hatte, in dem ein angeblicher weiterer Kaufinteressent aus dem Hut gezaubert worden war. Die ebenfalls bereits mit Morphosys verbundene Firma Incyte, Vertriebspartner für den Antikörper Monjuvi, wurde als ein solcher Kaufinteressent gerüchteweise gehandelt. Ob dieses angebliche Interesse ein sicheres Fundament hatte?

Dass die Geschichte von Morphosys nun einen ziemlichen Kratzer abbekommen hat, danach sieht es mit größerer Sicherheit gerade aus, der einstige Leuchtturm bröckelt. Für Novartis mag das alles verkraftbar sein und Rückschläge in der Wirkstoffpipeline sind selbst angesichts der derzeit große Erlöse zurückspülenden Blockbuster keine Seltenheit. Sogar zeitgleich mit dem wankenden Morphosys-Deal: Der eigene Novartis-Hoffnungsträger XXB750, ein Antikörper gegen Bluthochdruck, war mit besonderer Geschwindigkeit direkt von der frühesten Phase einer Studie an gesunden Freiwilligen in eine Phase II-Studie geschoben worden, da eine Senkung des Blutdrucks bereits bei den Gesunden beobachtet werden konnte. Nun hat Novartis anlässlich der Quartalsmitteilung die gesamte weitere Entwicklung eingestellt, da die mittlerweile gewonnenen klinischen Daten die großen Erwartungen nicht erfüllen konnten. Für Novartis ein ganz normaler Vorgang.

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